Der Ruf des Kookaburra
weiterhin zu wandern, sondern auch die heiligen Rituale mit unverminderter Kraft fortzuführen. Jetzt, so hatte er Emma bedeutet, sei es besonders wichtig, sich mit der Kraft der Marmbeja zu verbinden, denn die Begegnung mit den D’anba stehe unmittelbar bevor. Schon bald würde einer von ihnen das entscheidende Zeichen bekommen, wo die D’anba sich aufhielten. Emmas Träume und Ahnungen, so der Schamane, seien der beste Beweis dafür.
Emma wendete ihren Fisch und blickte nachdenklich in die Glut. Bis zu ihrer Versöhnung am Fluss hatte Birwain resigniert, fast gebrochen gewirkt. Nun aber schien es ihr, als seien Mut und Kampfgeist des alten Schamanen zurückgekehrt. Ein letztes Aufbäumen gegen die Unabänderlichkeit des Schicksals seines Clans? Doch das Schicksal war eigentlich niemals unabänderlich.
»Du schaust so grimmig drein«, sagte John. »Keinen Appetit auf Fisch mit Zwieback?«
Emma tauchte aus ihren schweren Gedanken auf. Sie sah John an und lächelte. »Doch, unser Abendessen riecht wunderbar. So gesund die weißen Würmer des Regenwaldes auch sein mögen, Fisch ist mir eindeutig lieber.«
»Schön.« John ließ nicht locker. »Was ist es dann?«
Emma biss von ihrem Zwieback ab. Sie kaute das Bröckchen sehr gründlich durch. Danach trank sie einen Schluck Milch. Die Milch schmeckte säuerlich; morgen würde sie endgültig verdorben sein.
»Du schindest Zeit«, stellte John ungerührt fest. »Aber du vergisst dabei, dass ich sowieso schon über den ganzen Zauber im Bilde bin: vorherbestimmte Aufgaben, unabänderliche Prophezeiungen … was, meine Liebe, sollte mich da noch schrecken?«
Emma rang sich zu einem schiefen Grinsen durch. »Vielleicht menschenfressende Wüstengeister?«
»Emma! Was für eine Fantasie. Brrrr.« John schüttelte sich theatralisch. »Ich glaube, ich überlege mir das mit unserer Hochzeit besser doch noch mal.«
»Wirklich?«
»Nein.«
Sie sahen sich an. Johns Blick veränderte sich, wurde dunkel und verlockend, und Emma ertappte sich dabei, dass sie sich nach einem Kuss sehnte. Nicht nach einem schnellen Aufeinanderdrücken ihrer Lippen wie beim ersten Mal. Sondern nach einem vorsichtigen Herantasten – ohne Eile, Zurückweisung und Schuldgefühle.
Doch statt sie zu küssen, fragte John ernst: »Worüber hast du mit Birwain gesprochen?«
Sie seufzte und drehte ihren Stock mit dem Fisch über der Glut. Würde er es verstehen? Immerhin hatte er sich bereit erklärt, sie bei der Suche nach ihrer Aufgabe zu unterstützen; es war nur fair, wenn sie rückhaltlos ehrlich war. Das Risiko, dass er sie wieder befremdlich fand, musste sie wohl eingehen.
»Birwain ist der Meinung, dass ich den mächtigsten aller D’anba finden muss«, sagte Emma stockend. »Wenn ich ihn gefunden habe, soll ich ihn töten und damit die Prophezeiung erfüllen.«
Falls John erschrocken war, so zeigte er es jedenfalls nicht. Er hob nur die Augenbrauen und schwieg für einen Moment. Dann fragte er sachlich: »Wie kann man etwas töten, das gar nicht existiert?«
»Das ist ja das Problem. Ich glaube zwar auch, dass ich jemanden finden muss. Aber einen Geist?«
»Hm. Vielleicht handelt es sich doch um einen Menschen«, überlegte John. »Aber um einen, den die Schwarzen für besessen halten. Somit würdest du, wenn du ihn umbringst, nicht nur den Menschen töten, sondern gleichzeitig den D’anba.«
Emma schwieg. Dieser Gedanke war ihr auch schon gekommen, und er erschreckte sie.
»Selbst wenn es so wäre: Wie sollst ausgerechnet du diesen Oberschurken erledigen?«, grübelte John weiter. »Du, eine schwache junge Frau.«
»Als schwach würde ich mich nach all der Zeit in der Wildnis nicht mehr bezeichnen, John!«
»Einverstanden, schwach ist das falsche Wort. Aber du bist zartfühlend, hast ein weiches Herz. Nicht gerade die besten Voraussetzungen für einen Kampf auf Leben und Tod.«
Er sah ihr lange in die Augen.
»Könntest du töten, Emma?«
Sie schluckte.
»Ich weiß es nicht.«
Warum hatte sie nicht einfach nein gesagt? Ihre Antwort überraschte sie selbst.
Emma mied Johns Blick, als sie den Stock vom Feuer nahm und den Fisch von der Spitze zog. Seine glasigen Augen glotzten sie von ihrem Blechteller aus an.
»Ich war immer davon überzeugt, dass ich nicht dazu fähig wäre, einem Menschen etwas Böses anzutun«, sagte sie und starrte auf den Fisch. »Aber wenn ich herausfinden würde, dass irgendjemand für Purlimils Krankheit verantwortlich ist, auf welche Weise auch
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