Der Ruf des Kookaburra
Doch Birwain hatte darauf bestanden, dass der Clan es sich nicht leicht machen und in den Wald ausweichen durfte, sondern am Fluss bleiben musste. Wasser war mächtig, Wasser sprudelte und murmelte, und Wasser gab Zeichen. Er durfte es nicht versäumen, Ausschau zu halten, in jedem Augenblick.
Er spürte, dass ihnen die Zeit davonlief.
Zeit war nie etwas gewesen, worüber Birwain sich Gedanken gemacht hatte. Bei den Ahnen existierte sie nicht; Schöpfung war geschehen und doch nicht vorüber, sie ereignete sich jeden Tag, und jeder aus dem Clan, der sich mit den Ahnen und Geistern verbinden wollte, konnte dies in den heiligen Handlungen tun.
Doch die Weißen hatten sich ins Spiel gebracht, und mit ihnen war die Zeit gekommen.
Mit zusammengezogenen Brauen blickte Birwain über den gurgelnden Fluss. Der Regen war nicht stark, kein Vergleich zu den Sommerregen, die aus Bächen reißende Flüsse machten. Das hier war bloß ein Geschenk an die Pflanzen, eine milde Gabe. Ein nasses Flüstern. Ein Flüstern … Flüstern … aber nicht aus dem Wasser, sondern aus den Bäumen … ein Raunen der Geister …
Geh zurück.
Er blinzelte. So lange hatten die Marmbeja nicht mehr zu ihm gesprochen, dass er ihre Stimmen fast nicht erkannt hätte.
Wohin?
Zurück zum Ursprung.
Zu Carls Verschwinden?
Noch weiter.
Zur Rettung des Babys?
Weiter, Schamane. Viel weiter.
Zu den Tagen, als Emma zu uns gekommen ist?
In den Blättern lachte es leise.
Und plötzlich wusste Birwain, wo sie den Dunklen suchen mussten.
7
D as ist doch absurd!« Emma schüttelte den Kopf. »Was hat denn der damit zu tun? Er lebt in Deutschland, Birwain. Wie sollte er uns von dort aus schaden können? Ich traue ihm ja vieles zu, aber das ist schlichtweg unmöglich.«
»Er ist der Ursprung von allem!« Der Schamane war ebenso erregt wie unerbittlich. »Die Geister haben es mir enthüllt. Du kannst es sofort glauben oder auf ein noch stärkeres Zeichen warten. Aber wenn du dich entscheidest zu warten, ist es vielleicht zu spät. Die Zeit drängt, Emma, auch wenn ich nie gedacht hätte, dass ausgerechnet ich das einmal sagen würde.«
Emma atmete tief durch, dann schüttelte sie noch einmal den Kopf. John, der gerade erst zu ihnen gestoßen war, legte seine Hand auf ihren Rücken, eine Geste, die sie mit ihm verband und von den anderen abgrenzte: von Birwain, Gunur und Yileen, die im Nieselregen vor Emma standen und sie erwartungsvoll ansahen.
Seit die Ältesten mit Yileen im Schlepptau herbeigeeilt waren, um mit ihr über das Zeichen zu reden, das Birwain bekommen hatte, kämpfte Emma gegen ihre Panik an. Sie wollte nicht, dass ausgerechnet Oskar Crusius etwas mit ihrer Aufgabe zu tun hatte. Emma war bereit, sich den Herausforderungen der Gegenwart zu stellen. Aber mit ihrer Vergangenheit hatte sie abgeschlossen. Oskar weilte seit vielen Monaten wieder in Deutschland, war fort und vergessen, für immer. Dafür hatte Carl gesorgt.
Es wird dich nie mehr loslassen, verstehst du?
Emma schwankte.
John legte rasch seinen Arm um ihre Schultern, um sie zu stützen. Sie warf ihm ein Lächeln zu, machte sich aber gleichzeitig von ihm frei. Das hier musste sie allein durchstehen.
»Er kann nichts damit zu tun haben«, wiederholte sie stur.
»Er hat uns damals alle bedroht!«, hielt Birwain dagegen. »Was spricht dagegen, dass er seine Drohung wahr gemacht hat?«
»Ich habe schon immer geahnt, dass er besessen ist«, ergänzte Yileen düster. »Er war der böse Geist, und er ist es noch heute. Er ist der D’anba. Wir müssen ihn finden!«
»Könnte mir mal jemand erklären, worum es hier geht?« John kratzte sich ratlos am Kopf.
»Um diesen Forscher, der Yileen töten und sein Skelett in ein fremdes Land verkaufen wollte.« Gunur spuckte die Worte voller Verachtung aus. »Kein Wunder, dass der D’anba in ihn gefahren ist. Sie passen zusammen.«
»Er wollte Emma damals Gewalt antun«, sagte Yileen. »Aber sie konnte sich retten, und Carl hat Oskar fortgejagt unter der Drohung, ihn zu töten, falls er sich je wieder blicken lassen sollte.«
»Oskar? Moment mal!« John blickte von den Schwarzen zu Emma. »Oskar Crusius, der Forscher, in dessen Diensten du standst?«
Emma biss die Zähne zusammen. Sie wollte nicht über Oskar sprechen, weigerte sich, an die versuchte Vergewaltigung zu denken, wollte seinen Namen endgültig aus ihrem Gedächtnis streichen.
John sah sie abwartend an.
Widerwillig nickte sie.
»Oskar Crusius wollte dir Gewalt
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