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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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schon lange in ihr gegärt, als habe sie dringend jemanden gebraucht, dem sie ihre Schuldgefühle anvertrauen konnte.
    Warum hatte er nie gemerkt, wie unendlich einsam sie war, seit ihr Mann gestorben war?
    Nein, verbesserte er sich sofort. Emmas Traum war ein Hinweis darauf, dass Carl noch lebte. Aber wenn es sich so verhielt: Wo war er? Und wie hatte der Dunkle ihn in seine Gewalt gebracht?
    Birwain war überzeugt davon, dass die Antworten auf sämtliche Fragen bei dem zu finden waren, der das Spiel begonnen hatte – lange bevor irgendeiner im Clan auch nur geahnt hatte, dass er seine sandige, dürre Heimat verlassen hatte.
    Wo sollten sie suchen, und wann hatte alles angefangen? Zurückgehen … Sie mussten zurückgehen, um das herauszufinden. Weiter und immer weiter.
    Eine Weile starrten sie beide vor sich hin, jeder in seine Gedanken versunken. Der Himmel begann sich im Abendlicht zu verfärben und legte einen rosenfarbenen Schleier über den Fluss und das verwaschene Graublau der fernen Hügelkette.
    »Du hast Fehler gemacht, wie alle Menschen«, brach Birwain schließlich das Schweigen. »Wie ich. Und wie Carl. Aber das ist nicht der Grund für sein Verschwinden. Die D’anba sind es, auch wenn du das nicht glaubst und uns für abergläubisch hältst.«
    Seine letzte Feststellung schien ihr peinlich zu sein. »Doch, doch, ich glaube durchaus …«
    »Bemüh dich nicht.« Nachsichtig winkte er ab. »Du hast das Eukalyptusfeuer erlebt und das Flüstern der Marmbeja gehört, und dennoch zweifelst du an ihrer Existenz. Du glaubst lieber an deine innere Stimme. Was soll’s? Gräme dich nicht deshalb. Vielleicht könnt ihr Weißen die Wahrheit einfach nicht sehen, selbst wenn sie euch von allen Seiten umgibt.«
    Sie furchte die Stirn. »Eure Wahrheit sehen wir nicht, Birwain. Wir haben unsere eigenen Wahrheiten.«
    »Dann scheint es mir an der Zeit, dass wir unsere Wahrheiten endlich miteinander verbinden.« Er lächelte. »Bist du bereit?«
    Emma schaute in die Augen des alten Eingeborenen, in denen wieder Hoffnung und Leben standen.
    War sie bereit? Dazu, auf der Grenze zwischen schwarzer und weißer Wirklichkeit, zwischen Ahnung und Wissen, Geisterglauben und Sachlichkeit zu balancieren? Was, wenn sie abstürzte – auf der falschen Seite?
    Emma dachte an ihren Traum. An die innere Stimme, deren Ruf einfach nicht verstummen wollte. An ihre Liebe zu Carl. An Purlimils Unglück. An Yileens verbissene Hoffnung, die Seele seiner Frau zurückzugewinnen, und an ihre eigene, Carl lebend wiederzusehen – Hoffnungen, die so vergeblich erschienen und doch nicht sterben wollten.
    Träume oder die Botschaft der Geister, Schwermut oder eine verlorene Seele: Das Wesen der Dinge blieb sich gleich, wie auch immer man es benannte. Keine Wahrheit war falsch, weil es neben ihr noch eine andere gab. Deshalb war Emma zu Birwain gekommen. Wie konnte sie jetzt noch zögern? Natürlich war sie bereit!
    Sie straffte die Schultern.
    »Erzähl mir alles, was ich wissen muss.«

5
    SEPTEMBER 1860
    O bwohl das Gespräch am Fluss schon mehrere Tage her war, schwirrte Emma immer noch der Kopf. Was sie erfahren hatte, war geheimnisvoller, beängstigender und faszinierender gewesen als alles, was ihr je zu Ohren gekommen war. Emma hatte nach wie vor Mühe, die Geschichten und Informationen, die Birwain ihr vermittelt hatte, mit ihrem Bild der Wirklichkeit in Einklang zu bringen.
    An die vermeintliche Existenz von Geistern hatte sie sich mittlerweile gewöhnt. Aber dass diese Geister als unheimliches Volk in einer Wüste leben und sich am liebsten von Menschenfleisch ernähren sollten, hatte Emma dann doch erschreckt. Auch dass sie Gift ausstrahlten und damit drohten, das Wasser aus allen Flüssen auszutrinken. Angeblich waren die D’anba zudem in der Lage, auf mysteriöse Weise von Ereignissen zu erfahren, die weit entfernt geschehen waren. Und sie raubten Seelen.
    Emma saß schweigend mit John am Feuer, über dem an einem langen, angespitzten Stecken zwei Fische brieten. Dazu würde es als gewöhnungsbedürftige, aber nahrhafte Zusammenstellung Zwieback und Milch geben, denn die Babys verweigerten die Köstlichkeiten der weißen Welt beharrlich. Belle schlief in eine Decke gekuschelt im Zelt; die monotonen Rhythmen und Klänge des Rituals, das die Schwarzen nicht weit von ihnen an einem heiligen Baum abhielten, waren für Belle mittlerweile einschläfernder als das süßeste Wiegenlied.
    Birwain hatte darauf bestanden, nicht nur

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