Der Ruf des Kookaburra
erklärt, dass erzählt, getanzt und gesungen würde, dass die Ahnen und Geister anwesend sein würden und dass die Frauen von diesen Wesen Kraft für den Alltag und Lösungen für ihre Probleme bekämen. Außerdem, hatte Purlimil leise hinzugefügt, würden die Geistwesen manchmal durch ausgewählte Frauen sprechen. Aber dies käme beileibe nicht bei jedem Ritual vor.
Nach dieser Auskunft war Emma so schlau wie zuvor. Wie es vonstattengehen sollte, dass Geister die konkreten Alltagsprobleme der Menschen lösten, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Ihre Neugierde plagte sie seither mehr denn je. Zu gerne hätte sie nicht nur an den Vorbereitungen, sondern auch am Ritual selbst teilgenommen! Rebellisch dachte sie, dass ihr die Teilnahme durchaus zustünde, zumindest wenn Birwains Überzeugung, dass die Geister etwas mit Emma vorhatten, der Wahrheit entsprach.
Herrje, dein Aberglaube wächst von Tag zu Tag!, schalt Emma sich, die Geister haben gar nichts mit dir vor, weil es nämlich keine Geister gibt. Alberner Kinderkram …
Entschieden verbannte Emma jeden Gedanken an Übersinnliches ins Reich der Fantasie und widmete sich wieder dem Muster auf ihrem Stecken. Wenn sie sich anstrengte, würde sie noch heute mit der Arbeit fertig.
Prompt forderte Gunur sie barsch auf, langsamer zu malen. Sie starrte Emma wütend an, und dann ergoss sich ein Schwall unverständlicher Worte aus ihrem Mund.
Als Emma sie hilflos anstarrte, mischte Purlimil sich ein.
»Gunur sagt, das Malen ist nichts, was man lästig finden sollte«, erklärte sie ihrer weißen Freundin. »Es ist ebenso heilig wie das Ritual selbst, und du musst es andächtig ausführen – oder es sein lassen, meint Gunur.«
Emma biss die Zähne zusammen und nickte knapp. Sie bemühte sich, keinen Ärger darüber zu empfinden, dass Gunur ihr nach wie vor mit Misstrauen begegnete. Tatsächlich schien es für die grauhaarige Alte nichts Schöneres zu geben, als Emma zu kritisieren, und sie machte keinen Hehl daraus, dass sie beide Scheerers als unwillkommene Eindringlinge empfand. Gunur war auch die Einzige, die so schnell sprach, dass Emma gezwungen war nachzufragen; und dann lachte Gunur, als sei Emma das dümmste Wesen, das je unter Australiens Sonne herumgelaufen war.
Dabei war Emma recht stolz darauf, die komplizierte Sprache der Eingeborenen in wenigen Monaten gelernt zu haben. Anfangs war es schwierig für Emma gewesen, die seltsamen Laute nachzuahmen, die so ganz anders klangen als Deutsch oder Englisch. Da Purlimil jedoch eine strenge Lehrerin war und Emma und Carl äußerst eifrige Schüler, konnten sie sich mittlerweile mit den meisten Mitgliedern des Clans unterhalten. Freilich, über selten benutzte Wörter stolperten sie und Carl immer noch; für den Alltag jedoch reichte es.
Fest entschlossen, sich von Gunur nicht aus der Fassung bringen zu lassen, wandte Emma sich von der Alten ab. Gunur würde sich schon noch an sie gewöhnen, redete Emma sich ein. Irgendwann würde Emma die Gelegenheit bekommen, sich vor Gunur zu bewähren, und dann wäre diese überflüssige Feindschaft Geschichte.
Von diesem Gedanken getröstet begann Emma eine Plauderei mit Purlimil. Sie sprachen über Purlimils schwangerschaftsbedingten Heißhunger auf weiße Würmer, über Yileens Vorfreude auf das Baby und über die Frage, ob es wohl ein Mädchen oder ein Junge werden würde. Purlimil erzählte, dass nicht einmal der Schamane sich auf eine Antwort festlegen wolle, obwohl Birwain sonst immer im Voraus wüsste, welches Geschlecht das ungeborene Kind einer Schwangeren hatte.
Birwain und seine seltsamen Fähigkeiten!, dachte Emma belustigt. »Apropos Birwain«, sagte sie zu Purlimil. »Dir ist nicht zufällig die Erleuchtung gekommen, was er gemeint haben könnte, oder?«
Emma hatte die Freundin, wie sie es abgemacht hatten, gleich nach ihrem Gespräch mit dem Schamanen über alles unterrichtet. Purlimil hatte sehr aufgeregt reagiert, vor allem auf Birwains Prophezeiung, dass die Geister eine Aufgabe für Emma hätten. Doch sie hatte sich zu keinerlei Aussage bewegen lassen, welcher Art diese Aufgabe wohl sein könnte.
»Nein«, sagte Purlimil auch jetzt wieder. »Es wird sich zeigen, Emma. Spätestens nach dem Ritual wirst du es wissen.«
Emma seufzte. Ihr blieb wohl nichts anderes übrig, als einfach abzuwarten.
8
K alkweiß hing der Mond am Himmel, als die Nacht des Rituals endlich gekommen war.
Zu ihrem maßlosen Erstaunen hatte Gunur, die das
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