Der Ruf des Kookaburra
sind. Aber wir von der Polizei haben kaum eine Möglichkeit, Mr Scheerer zu finden, das muss Ihnen doch klar sein. Ihr Mann kann weiß Gott wohin geritten sein. Vielleicht ist er längst tot. Bei dieser Hitze verletzt im Busch, ohne Wasser, ohne Nahrung … das hält kein Mensch lange aus.«
Emma ballte die Fäuste, bis ihre Fingernägel sich schmerzhaft in ihre Handflächen gruben. »Er lebt«, presste sie hervor. »Das weiß ich.«
»Ach ja?« Endlich war das Interesse des Constable geweckt, und er beugte sich neugierig vor. »Woher denn?«
Sie zwang sich, die Worte auszusprechen. »Ich würde es spüren, wenn er tot wäre.« Ihr war klar, dass das seltsam klang; dennoch war es die Wahrheit.
Der Constable ließ sich enttäuscht zurücksinken. »Das ist nicht gerade ein Beweis«, sagte er vorwurfsvoll.
Emma schwieg.
Der Constable betrachtete sie eine Weile unbehaglich. Offensichtlich wusste er nicht recht, was er mit ihr anfangen sollte. Er scheuchte eine Fliege fort und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. Schließlich seufzte er und sagte: »Vielleicht sollten Sie sich einfach damit abfinden, dass Ihr Mann verschwunden ist, Mrs Scheerer. Ob er noch lebt oder nicht, ist ja zweitrangig.«
»Wie bitte?«
»Verstehen Sie mich nicht falsch, gute Frau: Es kann schon sein, dass Mr Scheerer zu Ihnen zurückkommt. Aber viel Hoffnung würde ich mir an Ihrer Stelle nicht machen.« Plötzlich schien ihm etwas Erfreuliches einzufallen, denn sein Blick hellte sich auf. »Ach ja, sollte Ihr Mann weiterhin verschwunden bleiben, dürfen Sie ihn natürlich als verstorben melden! Nach einer gewissen Zeit ist es Ihnen dann erlaubt, neu zu heiraten, nach … warten Sie … wie lange war das noch? Ich sehe schnell nach, Moment …«
»Um Gottes willen, lassen Sie das bleiben!«, sagte Emma so scharf, dass der Constable, der bereits angefangen hatte, in einem ledergebundenen Buch zu blättern, erschrocken innehielt. »Ich will nicht neu heiraten! Mein Mann ist seit gerade mal drei Tagen verschwunden. Wie können Sie glauben, dass ich auch nur in Erwägung ziehe, ihn als verstorben zu melden?«
Beleidigt sagte der Constable: »War ja nur ein Vorschlag. Die meisten Damen wären dankbar dafür, so umfassend beraten zu werden.«
»Aber ich will keine Beratung«, rief Emma, »ich will, dass Sie ihn finden! Das ist doch Ihre Aufgabe, oder?«
»Mrs Scheerer!« Der Constable stemmte seine fleischigen Hände auf den Tisch und sah Emma streng an. »Sie sind erregt, und das ist in Anbetracht der Umstände in gewisser Weise verständlich. Dennoch muss ich Sie ernsthaft ermahnen, sich zu mäßigen. Sie sprechen mit einer Amtsperson!«
Emma holte tief Luft und schloss für einen Moment die Augen. Dann öffnete sie sie wieder und sagte beherrscht: »Also gut. Angenommen, mein Mann lebt. Was wäre dann zu tun?«
»Nichts.« Er lehnte sich wieder zurück und betrachtete sie grimmig. »Wenn er lebt und nicht zu Ihnen zurückkehrt, wird er schon seine Gründe dafür haben.«
»Sie meinen …«
»Ganz recht, Mrs Scheerer, das meine ich. Glauben Sie mir: Ihr Mann wäre nicht der Erste, der morgens aus dem Hause geht und abends bereits ein neues Leben angefangen hat. Weit weg von daheim.«
»Aber …«
»Wenn ein unzufriedener Ehemann verschwinden will«, sagte der Constable fest, »dann hat er es damit nirgendwo so leicht wie in Australien.«
Die Vorstellung war kaum zu ertragen.
Auch wenn Emma sich bei ihrer nächtlichen Suche bereits eingestanden hatte, dass diese Möglichkeit existierte, so war es doch etwas ganz anderes, dies nur zu denken, als es aus dem Munde eines fremden Menschen zu hören.
Benommen lief Emma durch die staubigen Straßen, kaum nahm sie die Menschen um sich herum wahr. Sie wanderte umher ohne Sinn und Ziel, Princess am Zügel und die vernichtenden Worte des Constable im Ohr.
Carl, ach Carl … es war doch nur ein dummer Streit … ich war so übernächtigt … es tut mir so schrecklich leid …
Unmittelbar vor ihr flatterte krächzend ein bunter Papagei in die Luft, und Princess riss nervös den Kopf hoch. »Ruhig, meine Süße«, beruhigte Emma die Stute, wobei sie die Zügel fester fasste, jäh in die Wirklichkeit zurückgeworfen.
Sie sah sich um. Ohne es zu merken, war sie am Bremer River angelangt. Sie musste durch den Ort gegeistert sein wie eine Schlafwandlerin.
Emma beschattete ihre Augen mit der freien Hand und blickte auf den trüben, breiten Fluss, auf dem etliche Dampfschiffe
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