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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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Landschaft wurde, desto dichter war der Boden bewachsen. Und schließlich ließen die Wanderer den Regenwald endgültig hinter sich, um in eine weite, sonnenbeschienene Welt einzutauchen – eine Welt, deren Schönheit Emma den Atem raubte.
    Sie blieb mit Princess stehen, schützte ihre Augen mit der Hand und blickte weit übers Land. Die Gegend schien aus nichts anderem zu bestehen als aus blauer Luft und hohem, im kühlen Wind zitterndem Gras. Bis zum Horizont, vor dem sich die Umrisse einer blauen Hügelkette im Dunst verloren, erstreckten sich silbrige, blassgrüne und gelbliche Halme, wogend und unendlich wie die See. Dazwischen erhoben sich Bäume mit schwarzer Rinde, die Emma noch nie gesehen hatte. Sonnengelb blühende Akazien sandten ihren Duft zu Emma herüber, und sie atmete tief ein. Ach, wie viel besser rochen diese Blüten als das schwere Parfum der Damen daheim in den engen Salons!
    Hier, dachte Emma und ließ ihren Blick über das Gräsermeer schweifen, hier war nichts eng. Alles war weit, frei und grenzenlos.
    Plötzlich fand sie den Gedanken, all dies vielleicht bald zu verlassen, unerträglich.
    »Es sieht aus wie verwunschen, findest du nicht?«, fragte sie John mit belegter Stimme.
    Er lächelte nur.
    »Weißt du, wo wir hier sind, John?«
    »Wir befinden uns in den südlichen Darling Downs . Der Name ist übrigens nicht ganz passend, denn bei der Gegend, die du hier siehst, handelt es sich um eine Hochebene«, dozierte er.
    »Du siehst eine Hochebene«, Emma breitete die Arme aus, »ich hingegen sehe ein Märchenland. Mein Gott, John, es ist so schön!«
    Sie legte den Kopf in den Nacken und blickte einem Kookaburra hinterher, der seinen fröhlichen, keckernden Ruf ausstieß und dann immer höher flatterte, bis er mit dem Blau des Himmels verschmolz.
    »So viele Monate lang habe ich gar keinen Himmel gesehen«, sagte sie leise und bewegt. »Und jetzt umgibt er mich von allen Seiten.«
    »Na ja, unten ist Gras«, warf John trocken ein.
    Seine Worte holten Emma von der Wolke schwärmerischer Verzückung zurück auf den Boden. Sie musste lachen. »Gott sei Dank. Sonst wären wir gezwungen zu fliegen wie der Kookaburra da oben.«
    John strich sich durchs Haar. »Fliegen … das würden wir beide auch noch hinkriegen.«
    Sie sahen einander an. John lächelte Emma mit diesem schweren, verheißungsvollen Blick zu, der ihr unwillkürlich Herzklopfen bescherte. Rasch schlug sie die Augen nieder.
    Sie dachte an die vielen Abende, die sie mit John verbracht hatte, und ihr war durchaus bewusst, dass sie sich mit jeder gemeinsam verbrachten Stunde nähergekommen waren. Spielend hatte er es geschafft, sie zu amüsieren, zum Lachen und zum Staunen zu bringen. Er konnte aber auch ausnehmend gut erzählen! Und wie weltgewandt er war, trotz seiner jungen Jahre …
    John hatte ihr von England erzählt, wo seine Großeltern lebten. Von Amerika, das er für ein Jahr besucht hatte, als er gerade erwachsen geworden war. Von seinem Studium, das er in Rekordzeit absolviert hatte, weil er darauf gebrannt hatte, endlich praktisch arbeiten zu dürfen. Von seinen vielen Reisen kreuz und quer durch New South Wales und das Gebiet, das seit Neuestem Queensland hieß. Und natürlich immer wieder von Sydney, wo er seine Kinder- und Jugendjahre verbracht hatte.
    Fast erschien es Emma, als kenne sie Sydney mittlerweile selbst, so gebannt hatte sie Johns Erzählungen gelauscht.
    Sie sehnte sich danach, all das Wunderbare dort mit eigenen Augen zu sehen: die tiefblaue Meeresbucht, die im Ruf stand, eine der schönsten der Welt zu sein. Die vielen Dampfschiffe und Segelboote, deren bunte Flaggen im Wind flatterten. Die Kaffeehäuser in der Stadt, die aus dem gleichen gelben Sandstein gebaut waren wie die meisten Gebäude in Sydney und in denen man ganze Nachmittage in fröhlicher Gesellschaft verbringen konnte, ohne sich im Geringsten zu langweilen. Die weißen Verandavorhänge, die die Bewohner der besseren Häuser gegen die allgegenwärtige Hitze schützen sollten, und die grünen wunderschönen Hügel, die das Hinterland der Stadt bildeten. Die Universität, die nun fast seit einem Jahrzehnt bestand; den botanischen Garten, der schlechter, und das Theater, das besser als die jeweilige Institution in Melbourne sein sollte.
    Das Einzige, worauf ich bei einem Besuch in Sydney gut und gerne verzichten könnte, dachte Emma, wäre der Anblick der Huren.
    John hatte die vielen leichten Mädchen nur kurz und mit angemessener

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