Der Ruf des Kookaburra
langsam vorankamen? War Emma vor wenigen Tagen noch daran gelegen gewesen, die rituelle Wanderung möglichst rasch hinter sich zu bringen, um bei Carls Rückkehr nicht abwesend zu sein, so wusste sie seit diesem Morgen, dass ihre leise Hoffnung vergeblich gewesen war.
Wo sie sich befand, spielte keine Rolle mehr.
Dayindis Verschwinden hatte ihre letzten Zweifel beseitigt, dass irgendjemand Carl etwas angetan hatte. Der law man selbst? Oder ein Handlanger aus einem anderen Clan? So oder so, es erschien Emma ausgeschlossen, dass ihr Mann unversehrt zu ihr zurückkehren würde.
Emma presste die Lippen aufeinander und sattelte Princess ab.
Sollte ich nicht Trauer fühlen?, ging es ihr durch den Kopf. Jetzt, wo ich sicher weiß, dass Carl etwas passiert ist?
Aber sie fühlte nichts. Keine Trauer, keine Resignation, keinen Verlust. Kurz durchzuckte sie der schreckliche Gedanke, dass sie aufgehört haben könnte, Carl zu lieben. Doch fast im gleichen Augenblick wurde ihr klar, dass das nicht der Fall war. Im Gegenteil: Wider besseres Wissen glaubte sie in den Tiefen ihres Herzens weiterhin daran, Carl irgendwann, irgendwie wiederzusehen.
Sie spürte, dass ihr die Tränen kamen. Sie zwinkerte sie fort.
»Danke, das schaffe ich schon allein«, sagte sie rauer als nötig zu John, als der mit dem Absatteln fertig war und sich anschickte, den Stoff ihres Zeltes über einen starken Ast zu werfen.
Unbeeindruckt fuhr John in seinem Tun fort.
»Du darfst allein in deinem Zelt schlafen, keine Sorge«, sagte er, ohne Emma anzusehen. »Ich helfe dir nicht, um mir ein warmes Plätzchen zu verdienen, falls du das denken solltest.« Er zuckte mit den Schultern. »Dayindi ist nicht mehr hier, welchen Grund hätte ich also noch, bei dir zu nächtigen?«
Obwohl John damit ihre eigene Argumentation wiederholte, spürte Emma, dass seine nüchternen Worte sie trafen. Sie beobachtete ihn, wie er mit knappen, effizienten Bewegungen ihre Schlafstatt vollendete, und fragte sich, warum der Anblick seines konzentrierten, braun gebrannten Gesichtes den Wunsch in ihr weckte, dass er sich ihr zuwandte statt ihrem Zelt.
Gezwungenermaßen war John dazu übergangen, seine Mahlzeiten gemeinsam mit dem Clan einzunehmen. Höflich kostete er von den sauren Früchten, knusprigen Vögeln und sogar von den fetten weißen Maden, ohne sich seinen Widerwillen allzu sehr anmerken zu lassen. Ein echter Engländer, dachte Emma spöttisch und warf ihm über das Feuer hinweg einen verstohlenen Blick zu. Sie verkniff sich ein Grinsen, als Nowalingu, die sich neben John niedergelassen hatte, ihm eine weitere Made anbot. Mit einem kaum merklichen Zögern steckte er sie sich in den Mund.
Nowalingu beobachtete ihn strahlend. John kaute angestrengt, schluckte und schaffte es dann sogar, ihr Lächeln zu erwidern, wenn auch schief. Dabei rutschte sein Blick eine Etage tiefer – und saugte sich dort fest.
Emma hielt empört die Luft an.
Nowalingu kicherte. Sie machte keinerlei Anstalten, sich abzuwenden, sondern blieb seelenruhig sitzen. Selbstbewusst präsentierte sie John ihre hübschen, festen Brüste; sie schien seinen begehrlichen Blick zu genießen.
Emma vergaß vor Ärger, weiter an ihrem Obst zu kauen. Wie konnte John sich erdreisten, dermaßen unverhohlen auf Nowalingus Busen zu starren? Dachte er etwa, er habe sich eine visuelle Belohnung dafür verdient, dass er die widerlichen Maden geschluckt hatte? Unwillkürlich stieß Emma einen knurrenden und wenig damenhaften Laut aus.
Belle schaute sie mit ihren großen, braunen Augen fragend an. Die kleinen Patschhändchen zogen an Emmas Locken, die mittlerweile nachgewachsen waren und ihr weich über die Schultern fielen.
»Nein, nein, du bist lieb!«, beruhigte Emma das Baby in so aufgebrachtem Tonfall, dass Belle prompt anfing zu weinen.
John riss seinen Blick von Nowalingu los und sah Emma über das Feuer hinweg in die Augen.
»Ist was?« Er zog eine dunkle Braue hoch.
»Was soll schon sein? Belle ist müde, das ist alles«, erwiderte Emma unwirsch. »Ich bringe sie jetzt ins Bett. Gute Nacht, John. Und viel Vergnügen noch!«
Zugegeben, wirklich souverän hatte sie nicht geklungen. Aber verdammt, wenn John sich nach dem Korb, den sie ihm heute Nacht gegeben hatte, so dermaßen schnell tröstete, dass es schon einer Provokation gleichkam … und wenn Emma vor Eifersucht das unlogische Herz so schmerzhaft gegen die Rippen donnerte … wie sollte sie da ruhig und überlegen bleiben?
Brüsk stand sie
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