Der Ruf des Kookaburra
ihre Wange traf.
Mit gesenktem Blick befreite sie sich aus seiner Umarmung.
»Brauchst du mehr Zeit?«, fragte John leise.
Sie nickte und schämte sich im gleichen Moment für ihre Feigheit.
»Die sollst du bekommen. Solange du nur nicht gleich nein sagst.«
»Danke«, flüsterte sie, ohne ihn anzusehen.
Sie drehte sich um und ging allein zurück ins Lager im Akazienhain. In ihrem Rücken spürte sie Johns hoffnungsvollen Blick. Und obwohl sie sich gemessenen Schrittes von ihm entfernte, wäre sie am liebsten gerannt.
29
B irwain, obgleich selbst ein Mann, zeigte wenig Verständnis für Johns Bereitwilligkeit, sich seiner triebhaften Natur zu unterwerfen.
»Du willst ein Forscher sein? Du hast nichts verstanden, überhaupt nichts!«, schimpfte der Schamane, während sein dünner Zeigefinger anklagend in Johns Brust stach.
Zum ersten Mal seit Langem sprachen Emma und John mit Birwain allein. Der Schamane schien es vorzuziehen, John in trauter Runde und ohne neugierige Zuschauer herunterzuputzen, nachdem er von der Prügelei und dem Grund dafür erfahren hatte.
Zwar hatte Birwain eigentlich nur John gesucht, als er wutentbrannt durch das Lager gestapft war. Doch in seiner Gesellschaft hatte der Schamane auch Emma gefunden, und die hatte nach einem raschen Blick auf Birwains funkelnde Augen und Johns aufeinandergepresste Kiefer entschieden, der Auseinandersetzung als Friedensstifterin beizuwohnen.
John hatte das nicht gepasst.
Doch Emma kümmerte sich nicht um seinen Protest. Sie würde nicht zulassen, dass einer der beiden Männer, die sie auf so unterschiedliche Weise schätzte und mochte, dem anderen etwas antat. Und deshalb hatte sie darauf bestanden, gemeinsam mit ihnen das Lager zu verlassen und sich in ein stacheliges Dickicht zurückzuziehen, das die Kontrahenten vor Zuschauern schützen sollte. Belle hatte Emma auch gleich mitgenommen, nicht nur, weil sie nicht wusste, wohin mit dem Baby, sondern auch aus taktischen Gründen: John und Birwain würden einander gewiss nichts zuleide tun, wenn ihnen ein unschuldiges Baby dabei zusah …
Inzwischen begann Emma ihren Entschluss allerdings zu bereuen, denn John und Birwain überboten sich gegenseitig in sturer Uneinsichtigkeit. Kampfbereit standen sie sich gegenüber, und Emma hätte es nicht gewundert, wenn der Alte und der Junge sich im nächsten Moment wie erboste Schulbuben aufeinandergestürzt hätten.
Belle hüpfte auf Emmas Schoß auf und ab. Die spannungsgeladene Atmosphäre beeindruckte sie wenig, sie wollte krabbeln üben und sonst nichts. Warm genug, um das Baby auf den Boden zu lassen, war es jedenfalls; obwohl der Winter seinen Höhepunkt erreicht hatte, schätzte Emma die Temperatur auf milde fünfzehn Grad, dazu ein strahlend blauer Himmel, eine sanfte Sonne und eine seit Tagen anhaltende Trockenheit: Mit solchen Wintern konnte sie gut leben.
»Na gut. Aber nichts in den Mund stecken, meine Süße«, ermahnte Emma die Kleine und entließ sie in die Freiheit. »Und halt dich von den stacheligen Zweigen fern!«
Begeistert stemmte Belle sich auf die Händchen und schob sich vorwärts. Es würde nicht mehr lange dauern, bis Belle in Windeseile überall hinkam.
Ein großer Entwicklungsschritt für Belle und eine noch größere Herausforderung für mich, dachte Emma und war sich nicht sicher, ob diese Aussicht sie stolz oder wehmütig stimmte.
Sie vergaß die streitenden Männer, und ihr Blick ruhte liebevoll auf Belle. Wieder fiel ihr auf, dass das Baby dünner geworden war. Aber nun war Warwick ja nicht mehr weit, und das ließ Emma hoffen. Sicherlich konnte sie in der kleinen Stadt genug Milch und Zwieback erstehen, um Belle und Gelar damit eine Zeitlang aufzupäppeln. Und danach … würde sie weitersehen.
Emma nahm sich vor, noch heute mit John über einen Besuch in Warwick zu sprechen. Am besten bat sie ihn darum, sobald die Folgen für seinen Verstoß gegen die Clansitten geklärt waren.
Ob Birwain auf einer Strafe bestehen würde? Und, viel fraglicher: Ob John eine Strafe, die ihm von rechtlosen Eingeborenen auferlegt wurde, überhaupt akzeptierte?
Emma kratzte sich unruhig am Arm, bis ihr einfiel, dass man das als Weiße nicht tat. Sie ließ die Hände sinken und faltete sie im Schoß. In Johns Gegenwart bemühte sie sich darum, sich wieder mehr wie eine Dame zu benehmen; sie hatte das diffuse Gefühl, dass John das von ihr erwartete, vor allem jetzt, da er ihr gestanden hatte, dass er sich eine Zukunft an ihrer Seite
Weitere Kostenlose Bücher