Der Ruf des Kookaburra
sie wirklich geglaubt, dass sie Trost in seiner Umarmung finden und danach seine gute, respektierte Freundin bleiben konnte? Oder, viel vermessener noch, dass er sie danach hätte heiraten wollen?
Nein, es wäre ganz anders gekommen. John hätte sich ihrer bedient und sie sodann in die Schublade gesteckt, auf der in roter Warnfarbe »Dirnen und Wilde« geschrieben stand. Denn – das wurde Emma schlagartig klar – sie befanden sich zwar außerhalb zivilisierter Orte, aber niemals außerhalb der Gesellschaft. Egal, wo sie war, Emma würde stets eine Weiße bleiben, mit allen Zwängen, Einschränkungen und Verboten, die diese Tatsache mit sich brachte.
Lediglich mit Carl war es anders gewesen: An seiner Seite hatte Emma von Anfang an wahre Freiheit gefühlt.
Das Bewusstsein, diese Freiheit für immer verloren zu haben, schnürte Emma die Luft ab.
Ehe sie begriff, wie ihr geschah, lagen Johns Arme um ihren Körper. Er zog sie fest an sich, und Emma keuchte überrascht auf.
»Ich halte es nicht aus, dich so enttäuscht zu sehen«, sagte John rau. »Emma, ich sollte dir das nicht sagen, aber ich verehre dich. Ich beneide deinen Mann wie verrückt, dass er dich zur Ehefrau hatte. Und ich … ich möchte dich fragen, ob du dir vorstellen könntest, nach einer angemessenen Trauerzeit neu zu heiraten.« Er suchte bittend ihren Blick. »Mich.«
Emma verschlug es die Sprache.
Sie schaute in Johns verführerisch schöne Augen, die plötzlich so irritierend nah waren. Mühevoll versuchte sie, die nüchternen Fakten zu sortieren: John wollte sie heiraten. Vier Monate nachdem er sie kennengelernt hatte. Fünf Monate nachdem Carl verschwunden war. Aber er wollte noch warten, hatte etwas von einer angemessenen Trauerzeit gesagt.
Trauerzeit? Carl war doch gar nicht tot …
Verflixt noch mal, dachte Emma verzweifelt, warum gehörte sie nicht zu den Frauen, die in Situationen, die sie überforderten, sofort in Ohnmacht fielen? Das wäre jetzt praktisch, damenhaft und anmutig gewesen.
Stattdessen hörte Emma sich unbeholfen stottern: »Tja, äh … also, du verlierst ja wirklich keine Zeit, was?«
»Nicht, wenn ich etwas unbedingt haben will.« John zog einen Mundwinkel hoch, halb entschuldigend, halb amüsiert. Wie gebannt schaute Emma auf seine Lippen.
Wie viele Geliebte wird er neben mir haben, wenn ich seine Ehefrau bin?, schoss es ihr durch den Kopf.
Bevor sie sich eines Besseren besinnen konnte, hatte sie die Frage bereits ausgesprochen.
Johns Arme umschlangen sie noch fester, sein Mund näherte sich ihrem Ohr. »Keine Geliebte«, sagte er leise. »Niemals. Wenn du meine Frau bist, wirst du die Einzige sein.«
Es klang aufrichtig, und fast war Emma versucht, ihm zu glauben – und sich fallen zu lassen in die süße Benommenheit, die seine Umarmung ihr versprach.
Doch dann dachte sie an Nowalingu. Wie lange lief die Liaison zwischen John und ihr wohl schon? Wie oft hatte er die Schwarze besucht und ihr Lager geteilt, während Emma nichts davon geahnt hatte? John hatte Emma Abend für Abend mit seinem Charme und seinen Geschichten umworben – gewiss auch dann, wenn er kurz zuvor oder danach mit Nowalingu geschlafen hatte.
Männliche Natur hin oder her: Diese Vorstellung fand Emma widerlich.
»John, ich glaube nicht, dass ich …«
»Es muss nicht sofort sein.« John biss sich auf die Unterlippe, eine unsichere Geste, die Emma gleich wieder rührte. »Ich weiß, das kommt alles sehr überraschend für dich. Zu schnell. Aber ich kann warten, Emma. Ich kann auf dich warten.«
Konnte er das? Emma hatte da ihre Zweifel, sowohl was die Zeit vor als auch innerhalb ihrer möglichen Ehe betraf. Würde ein Mann wie John seine Lust nicht stets bei anderen Frauen stillen, wenn sie nicht verfügbar wäre?
Es würde Tage geben, an denen sie unpässlich war. An denen sie ihn aus dem einen oder anderen Grunde abweisen musste. Vielleicht würden sie sich streiten. Vielleicht wäre sie einmal krank und dürfte für Tage oder gar Wochen das Bett nicht mit ihm teilen. Ob er in all diesen Fällen, seinen Trieben zum Trotz, enthaltsam bleiben und auf sie warten würde?
Emma glaubte die Antwort zu kennen und damit zugleich die Antwort auf seinen Antrag. Eine Frau unter vielen wollte sie nicht sein.
John forschte beunruhigt in ihrer Miene. Er zögerte kurz, dann beugte er sich zu ihr herunter, um sie zu küssen. Im letzten Moment drehte Emma das Gesicht zur Seite. Ihr Herz klopfte hart, als Johns Mund statt ihrer Lippen nur
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