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Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)

Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)

Titel: Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Galbraith
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haarigen Arm über die Augen, um selbst die schmalen Lichtstreifen auszublenden, die von den Straßenlaternen durch die Jalousie an die Decke geworfen wurden. Gegen seinen Willen sah er Charlotte vor sich, so wie bei ihrer ersten Begegnung, als sie auf einer Studentenparty allein auf einem Fensterbrett gesessen hatte. Er hatte noch nie zuvor etwas so Schönes gesehen wie sie, und den anderen Männern ging es offenbar genauso, wenn man die zahllosen verstohlenen Seitenblicke, das übertrieben laute Lachen und Witzeln und die ausgreifenden Gesten in Betracht zog, die wie zufällig in Richtung der stillen Schönheit gingen.
    Als Strike sie durch den Raum hinweg erblickte, erfasste den Neunzehnjährigen exakt derselbe Drang wie früher, wenn im Garten von Tante Joan und Onkel Ted der erste Schnee gefallen war. Seine Füße sollten die ersten sein, die in dieser verlockend glatten Fläche Spuren hinterließen; er wollte ein Zeichen setzen und sie in Besitz nehmen.
    »Du bist besoffen«, warnte ihn sein Freund, als Strike ihm erklärte, dass er sie ansprechen wollte.
    Strike stimmte ihm zu, leerte sein siebtes Bier auf ex und marschierte geradewegs auf das Fensterbrett zu, auf dem sie saß. Vage spürte er die Blicke der Umstehenden, die womöglich auf eine witzige Szene hofften, weil er so groß und wuchtig war und wie ein boxender Beethoven aussah und weil er sein T-Shirt mit Currysoße bekleckert hatte.
    Als er vor ihr stand, sah sie mit großen Augen unter dem dunklen Haar zu ihm auf, und unter der tief ausgeschnittenen Bluse war ihre weiche, blasse Haut zu sehen.
    Im Lauf seiner ungewöhnlichen, nomadischen Kindheit, während derer er immer wieder verpflanzt und neuen, bunt zusammengewürfelten Gruppen aufgepfropft worden war, hatte Strike außerordentliche soziale Fähigkeiten entwickelt; er konnte sich überall einfügen, Menschen zum Lachen bringen und mit praktisch jedem auskommen. Doch an diesem Abend war seine Zunge schon taub und schwer. Und er hatte leicht geschwankt, wenn er sich richtig erinnerte.
    »Kann ich dir helfen?«, fragte sie.
    »Bestimmt«, sagte er, und dann zog er das T-Shirt von seinem Körper weg und zeigte ihr die Curryflecken. »Was meinst du, wie ich die wieder rauskriege?«
    Gegen ihren Willen (er sah sie um Fassung ringen) musste sie kichern.
    Irgendwann später marschierte ein Adonis, der nur der Ehrwürdige Jago Ross genannt wurde und den Strike ausschließlich vom Sehen und aus Erzählungen kannte, mit einem Tross ebenso hochgezüchteter Freunde auf der Party ein und sah Strike und Charlotte ins Gespräch vertieft nebeneinander auf dem Fensterbrett sitzen.
    »Du bist auf der falschen Party, Char, Schatz«, sagte Ross und meldete dabei mit zärtlich herablassendem Tonfall seine Rechte an. »Ritchies Feier ist oben.«
    »Ich komme nicht mit.« Sie lächelte zu ihm auf. »Ich muss Cormoran noch helfen, sein T-Shirt einzuweichen.«
    Und so hatte sie in aller Öffentlichkeit ihrem alten Schulfreund aus dem Eliteinternat zugunsten von Cormoran Strike einen Korb gegeben. Es war der größte Triumph in Strikes neunzehnjährigem Leben: Er hatte die schöne Helena direkt unter Menelaos’ Augen davongetragen. Dieses Wunder hatte ihn so sehr überrascht und begeistert, dass er es keinen Augenblick infrage gestellt, sondern einfach hingenommen hatte.
    Erst später war ihm aufgegangen, dass das, was er für Glück oder Schicksal gehalten hatte, von Anfang an von ihr eingefädelt worden war. Monate später hatte sie es ihm gestanden: dass sie, um Ross für irgendeine Verfehlung zu bestrafen, absichtlich auf die falsche Party gegangen sei, wo sie nur darauf gewartet habe, dass ein Mann, irgendein Mann, sie ansprach; dass er, Strike, nur Mittel zum Zweck gewesen sei, um Ross eins auszuwischen; dass sie in den frühen Morgenstunden in einer Mischung aus Rachsucht und Zorn mit Strike geschlafen habe, die er irrtümlich für Leidenschaft gehalten hatte.
    Schon ihre allererste Nacht hatte damit all das enthalten, was später immer wieder einen Keil zwischen sie treiben sollte und was sie jedes Mal wieder zueinandergezogen hatte: Charlottes selbstzerstörerische Art, ihre grausame Unbekümmertheit, ihre Bereitschaft, anderen wehzutun; die unwiderstehliche Anziehungskraft, die Strike gegen ihren Willen auf sie ausübte; und die Möglichkeit, jederzeit in die abgeschiedene Welt zurückzufliehen, in der sie aufgewachsen war und deren Werte sie gleichzeitig verabscheute und verinnerlicht hatte. So hatte damals

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