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Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)

Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)

Titel: Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Galbraith
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blassen Beine, die sie um seinen Rücken geschlagen hatte, gehörten zu einem weit zurückliegenden Leben. All seine Gedanken waren jetzt auf die untersetzte, reizlose Rochelle Onifade konzentriert. Er erinnerte sich daran, wie sie keine fünf Minuten, nachdem sie ihn verlassen hatte, hastig in ihr Handy gesprochen hatte – in genau denselben Klamotten, in denen sie später aus der Themse gefischt worden war.
    Er glaubte zu wissen, was sich abgespielt hatte. Rochelle hatte den Mörder angerufen, um ihm mitzuteilen, dass sie gerade mit einem Privatdetektiv zu Mittag gegessen hatte; über ihr rosa glitzerndes Telefon hatten sie ein Treffen vereinbart; noch am selben Abend waren sie nach einer Mahlzeit oder einem Drink durch die Nacht in Richtung Fluss geschlendert. Strike dachte an die Hammersmith Bridge, salbeigrün und golden; in dem Viertel, in dem Rochelle angeblich eine neue Wohnung hatte; mit ihrem niedrigen Geländer und der reißenden Themse darunter als Selbstmörderbrücke berüchtigt. Sie konnte nicht schwimmen. Eine nächtliche Szene: zwei Liebende, die sich spielerisch balgen, ein einzelner Wagen fährt schnell vorüber, ein Schrei und ein Klatschen. Würde irgendjemand etwas gesehen haben?
    Nicht wenn der Mörder eiserne Nerven und unverschämtes Glück gehabt hatte – und dies war ein Mörder, der schon reichlich Nervenstärke und schier unerträglich tollkühnes Vertrauen darauf unter Beweis gestellt hatte. Aufgrund dieser großspurigen Selbstüberschätzung, die Strikes Zielperson in seiner Erfahrung einzigartig machte, würde der Strafverteidiger zweifellos auf vermindert schuldfähig plädieren. Und vielleicht, dachte er, lag auch eine Erkrankung, irgendeine Verrücktheit vor, die sich kategorisieren ließ; aber der psychologische Aspekt interessierte ihn wenig. Wie John Bristow wollte er Gerechtigkeit.
    In der Dunkelheit seines Büros schweiften seine Gedanken unwillkürlich und wenig hilfreich in die Vergangenheit ab: zu dem persönlichsten Tod von allen, von dem Lucy völlig zu Unrecht annahm, er verfolge Strike bei allen Ermittlungen – zu dem Mord, der Lucys und sein Leben in zwei Abschnitte zerlegt hatte, sodass alles in ihrer Erinnerung scharf in Ereignisse vor und nach dem Tod ihrer Mutter eingeteilt war. Lucy glaubte, er sei wegen Ledas Tod weggelaufen, um zur Militärpolizei zu gehen; ihrer Überzeugung nach hatte ihn die nicht beweisbare Schuld seines Stiefvaters dazu getrieben, sodass jeder Tote, den er in seinem Berufsleben sah, ihn an seine Mutter erinnern musste; sodass jeder Mörder, mit dem er es zu tun bekam, ihm als ein Echo seines Stiefvaters erschien; sodass er sich gezwungen fühlte, in einem fortwährenden Akt persönlicher Wiedergutmachung andere Tode aufzuklären.
    Aber Strike hatte diesen Beruf schon lange angestrebt, bevor Leda sich den letzten Schuss gesetzt hatte; lange bevor er verstand, dass seine Mutter (wie jeder andere Mensch auch) sterblich war und dass Morde mehr als nur Rätsel waren, die gelöst werden mussten. Es war Lucy, die nicht vergessen konnte; die von Erinnerungen wie von einem Schwarm Schmeißfliegen umschwirrt war; die auf alle unnatürlichen Tode die widersprüchlichen Gefühle projizierte, die der vorzeitige Tod ihrer Mutter in ihr ausgelöst hatte.
    Heute Abend tat er jedoch einmal genau das, was er nach Lucys Meinung gewohnheitsmäßig tat: Er erinnerte sich an Leda und stellte eine Verbindung zwischen ihr und diesem Fall her. Leda Strike, Supergroupie , stand unter den Pressefotos, auch unter dem berühmtesten von allen – dem einzigen, das seine Eltern zusammen zeigte. Da war sie in Schwarz-Weiß: mit ihrem herzförmigen Gesicht, dem glänzenden dunklen Haar und ihren rehbraunen Augen; und da war – von Leda durch einen Kunsthändler, durch einen aristokratischen Playboy (der eine inzwischen durch eigene Hand gestorben, der andere an AIDS ) und durch Carla Astolfi, die zweite Ehefrau seines Vaters, getrennt – Jonny Rokeby persönlich, androgyn und wild, mit fast so langen Haaren wie Leda. Cocktailgläser und Zigaretten, zwischen den geöffneten Lippen des Models hervorquellender Rauch, aber seine Mutter schöner und stilvoller als alle anderen.
    Außer Strike hatten anscheinend alle Ledas Tod als das bedauerliche, aber unvermeidliche Ergebnis eines gefährlich außerhalb gesellschaftlicher Normen geführten Lebens hingenommen. Selbst ihre ältesten und besten Freunde hatten geglaubt, sie habe sich die in ihrem Körper festgestellte

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