Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
kommen Sie darauf, dass Ihr Mann etwas über Lula gewusst haben könnte?«
»Alec hat sich immer so gründlich wie nur möglich in alles eingearbeitet«, erklärte sie ihm mit einem schwachen, nostalgischen Lächeln. »Er war ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, müssen Sie wissen.«
»Aber er hat Ihnen nie etwas über Lulas leibliche Familie erzählt?«
»Oh nein, das hätte er keinesfalls getan.« Sie schien die bloße Vorstellung befremdlich zu finden. »Ich wollte immer, dass sie mein Kind ist, ganz allein meines, verstehen Sie? Falls Alec tatsächlich etwas wusste, hätte er mich beschützen wollen. Ich hätte die Vorstellung nicht ertragen, dass eines Tages jemand kommen und sie mir wegnehmen könnte. Ich hatte bereits Charlie verloren, und ich hatte mir so sehr eine Tochter gewünscht; der Gedanke, sie auch zu verlieren …«
Die Pflegerin kehrte mit einem Tablett zurück, auf dem zwei Tassen und ein Teller mit Schokoladenkeksen standen.
»Ein Kaffee«, verkündete sie gut gelaunt und stellte die Tasse in Strikes Reichweite auf den Nachttisch, »und ein Kamillentee.« Dann ging sie wieder.
Lady Bristow schloss die Augen. Strike nahm einen großen Schluck Kaffee.
»In dem Jahr, bevor sie starb, begann Lula, nach ihren leiblichen Eltern zu suchen, nicht wahr?«
»Das ist richtig«, sagte Lady Bristow, ohne die Augen aufzuschlagen. »Kurz nachdem man bei mir den Krebs entdeckt hatte.«
In der eintretenden Stille stellte Strike seine Tasse mit einem leisen Klirren auf die Untertasse zurück. Durch das offene Fenster drang das fröhliche Geschrei der Kinder unten auf dem Platz zu ihnen herein.
»John und Tony waren ungeheuer wütend auf sie«, sagte Lady Bristow. »Sie fanden, sie hätte nicht anfangen dürfen, nach ihrer leiblichen Mutter zu suchen, während ich gerade so schwer erkrankt war. Der Krebs hatte schon gestreut, als man ihn entdeckte. Ich musste sofort mit der Chemotherapie beginnen. John hat sich damals sehr bemüht; er fuhr mich immerzu ins Krankenhaus und holte mich ab, und während der schlimmsten Phasen blieb er bei mir. Selbst Tony stand mir bei, doch Lula interessierte sich anscheinend nur …« Sie schlug seufzend die trüben Augen auf und suchte nach Strikes Gesicht. »Tony war immer schon der Meinung, dass sie völlig verzogen wäre. Ich nehme an, dass das meine Schuld war. Aber ich hatte schon Charlie verloren, müssen Sie verstehen; also hätte ich einfach alles für sie getan.«
»Wissen Sie, wie viel Lula über ihre leiblichen Eltern in Erfahrung bringen konnte?«
»Nein, leider nicht. Ich glaube, sie ahnte, wie sehr mir das alles zu schaffen machte. Sie erzählte mir kaum etwas darüber. Ich weiß natürlich, dass sie ihre Mutter ausfindig gemacht hat, weil sie damit diesen entsetzlichen Presserummel auslöste. Lulas Mutter war genau so, wie Tony es prophezeit hatte. Sie hatte Lula nie gewollt. Eine grässliche, grässliche Frau«, flüsterte Lady Bristow. »Aber Lula besuchte sie trotzdem immer wieder. Während ich mich einer Chemotherapie unterziehen musste. Mir fielen die Haare aus …«
Ihre Stimme versiegte. Strike kam sich, wie möglicherweise von ihr beabsichtigt, vor wie ein gefühlloser Klotz, als er dennoch weiterbohrte: »Was war mit ihrem leiblichen Vater? Hat sie Ihnen je erzählt, ob sie auch etwas über ihn herausgefunden hatte?«
»Nein«, antwortete Lady Bristow matt. »Aber ich habe sie auch nie gefragt. Ich hatte den Eindruck, dass sie die ganze Sache aufgegeben hatte, nachdem sie diese grauenhafte Mutter ausfindig gemacht hatte. Ich wollte nicht mit ihr darüber reden, ich wollte nichts davon wissen. Das hätte mich viel zu sehr angestrengt. Ich glaube, das wusste sie.«
»Bei ihrem letzten Besuch hat sie Ihnen also nicht von ihrem leiblichen Vater erzählt?«, hakte Strike nach.
»Oh nein«, antwortete sie leise. »Nein. Sie war nicht lange hier. Direkt nachdem sie angekommen war, erklärte sie mir, sie könne nicht lange bleiben, das weiß ich noch genau. Sie wollte sich mit ihrer Freundin Ciara Porter treffen.«
Das Empfinden, schlecht behandelt worden zu sein, waberte langsam auf ihn zu, genau wie der Bettlägerigengeruch, den sie absonderte: ein bisschen moderig, ein bisschen überreif. Irgendetwas an ihr erinnerte ihn an Rochelle; obwohl die beiden so verschieden waren, wie es zwei Frauen nur sein konnten, strahlten beide die Missgunst all jener aus, die sich benachteiligt und vernachlässigt fühlten.
»Können Sie mir sagen, worüber Sie
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