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Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)

Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)

Titel: Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Galbraith
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wollte nur wissen, ob Sie sich erinnern, dass Ihr Bruder Tony Sie an jenem Tag besucht hat.«
    Es blieb kurz still, und Strike beobachtete, wie sich etwas in dem entkräfteten Gesicht verhärtete.
    »Nein, ich kann mich nicht erinnern, dass Tony vorbeigekommen wäre«, antwortete Lady Bristow schließlich. »Ich weiß, dass er behauptet, er wäre hier gewesen, aber ich kann mich nicht entsinnen, dass er mich besucht hätte. Vielleicht habe ich da gerade geschlafen.«
    »Er behauptet, er wäre hier gewesen, während Lula Sie besucht hat.«
    Lady Bristow zuckte kaum sichtbar mit den zerbrechlichen Schultern. »Vielleicht war er ja hier, ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern.« Und dann, plötzlich kraftvoller: »Seit mein Bruder weiß, dass ich im Sterben liege, ist er sehr viel netter zu mir. Er besucht mich viel häufiger. Wobei er natürlich jedes Mal gegen John giftet. So wie immer schon. Aber John war ungeheuer gut zu mir. Als ich krank wurde, hat er Dinge für mich getan … Dinge, die kein Sohn sollte tun müssen. Eigentlich wäre es angemessener gewesen, wenn Lula … Aber sie war dazu viel zu verzogen. Ich habe sie geliebt, aber sie konnte mitunter egoistisch sein. Sehr egoistisch.«
    »Noch einmal zu dem Tag, als Sie Lula das letzte Mal sahen …«, wiederholte Strike beharrlich, aber Lady Bristow schnitt ihm das Wort ab.
    »Nachdem sie gegangen war, war ich vollkommen durcheinander«, sagte sie. »Wirklich durcheinander. Das passiert mir regelmäßig, wenn ich über Charlie rede. Bestimmt konnte sie sehen, wie aufgewühlt ich war, aber sie wollte sich trotzdem mit ihrer Freundin treffen. Ich musste wieder Tabletten nehmen, um einschlafen zu können. Nein, Tony habe ich an dem Tag nicht gesehen; mich kam überhaupt niemand mehr besuchen. Es mag ja sein, dass er behauptet, er sei hier gewesen, aber ich kann mich an nichts weiter erinnern – bis John mich mit dem Abendessen weckte. Er war wütend. Er schimpfte mit mir.«
    »Warum das denn?«
    »Er findet, dass ich zu viele Tabletten nehme«, beschwerte sich Lady Bristow schmollend wie ein kleines Mädchen. »Ich weiß, er will nur mein Bestes, der arme John, aber er begreift nicht … Er konnte nicht … Ich musste in meinem Leben so viel Leid ertragen. An jenem Abend saß er lange an meinem Bett. Wir sprachen über Charlie. Wir unterhielten uns bis in die frühen Morgenstunden. Und während wir uns unterhielten«, sie senkte die Stimme zu einem Flüstern, »während wir hier saßen und redeten, stürzte Lula … Währenddessen stürzte sie von ihrem Balkon.
    Daher war es auch John, der mir am nächsten Morgen davon erzählen musste. Die Polizei hatte im Morgengrauen vor der Tür gestanden. Er kam in mein Zimmer, um es mir zu sagen, und …« Sie schluckte und schüttelte matt und wie halbtot den Kopf. »Darum ist der Krebs zurückgekehrt, das weiß ich genau. Ein Mensch kann nur ein gewisses Maß an Leid ertragen.«
    Sie sprach immer undeutlicher. Noch während er überlegte, wie viel Valium sie wohl insgesamt genommen hatte, schloss sie schläfrig die Augen.
    »Yvette, dürfte ich vielleicht Ihr Bad benützen?«, fragte er schnell.
    Sie gestattete es ihm mit einem müden Nicken.
    Strike stand auf und verschwand schnell und überraschend leise für einen Mann seiner Größe in ihrem Ankleidezimmer.
    Der kleine Raum war von deckenhohen Mahagonitüren gesäumt. Strike öffnete die erste Tür und warf einen Blick auf die dicht mit Kleidern und Mänteln vollgehängten Kleiderstangen, auf die Regalfächer voller Taschen und Hüte. Ihm schlug der Geruch von alten Schuhen und Stoffen entgegen, der, obwohl die einzelnen Stücke ganz offenkundig teuer gewesen waren, an die Kleiderkammer einer Wohlfahrtsorganisation erinnerte. Heimlich öffnete und schloss er Tür um Tür, bis er beim vierten Anlauf auf einen Stapel brandneuer Handtaschen in unterschiedlichen Farben stieß, die jemand in das oberste Regalfach gequetscht hatte.
    Er zog die blaue Tasche herunter, ein neu glänzendes Modell. Sah das GS -Logo und das seidene Innenfutter, das mit einem Reißverschluss befestigt war. Fuhr mit dem Finger darüber, tastete jeden Winkel ab und schob die Tasche anschließend ins Regal zurück.
    Als Nächstes zog er die weiße Tasche heraus; hier war das Seidenfutter mit einem afrikanisch anmutenden Muster bedruckt. Wieder tastete er mit dem Finger das Innere ab. Dann zog er den Reißverschluss des Futters auf. Es löste sich, genau wie von Ciara beschrieben, als Halstuch

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