Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
entgegen und las ihn feixend durch.
»Ich verstehe nicht, warum Sie damit nicht zur Polizei gehen«, sagte Robin. »Was er Ihnen androht …«
»Legen Sie ihn einfach zu den anderen«, entgegnete Strike missfällig, ließ das Blatt auf den Schreibtisch segeln und widmete sich dem Rest seines armseligen Poststapels.
»Gut, also, da wäre noch etwas.« Robin war über seine Reaktion sichtlich verärgert. »Gerade hat eine Frau von Temporary Solutions angerufen.«
»Ach ja? Was wollte sie denn?«
»Sie hat nach mir gefragt«, sagte Robin. »Offenbar haben sie den Verdacht, dass ich immer noch hier bin.«
»Und was haben Sie geantwortet?«
»Ich habe so getan, als wäre ich jemand anders.«
»Gut mitgedacht. Und wer waren Sie, wenn ich fragen darf?«
»Ich habe gesagt, ich hieße Annabel.«
»Wussten Sie, dass die meisten Menschen einen Namen mit dem Anfangsbuchstaben A wählen, wenn sie sich spontan einen Decknamen ausdenken sollen?«
»Was, wenn sie jemanden vorbeischicken, um das zu überprüfen?«
»Was wäre dann?«
»Dann wird man Ihnen eine Rechnung stellen und Ihnen nachträglich die Vermittlungsprovision berechnen!«
Ihre aufrichtige Angst, er könnte eine Gebühr bezahlen müssen, die er sich nicht leisten konnte, brachte ihn zum Lächeln. Eigentlich hatte er sie bitten wollen, zum wiederholten Mal in Freddie Bestiguis Produktionsfirma anzurufen und außerdem die Internet-Telefonverzeichnisse nach Rochelle Onifades Tante zu durchforsten, die angeblich in Kilburn wohnte. Stattdessen sagte er: »In Ordnung, dann räumen wir das Fort. Ich hatte ohnehin vor, mir einen Laden namens Vashti anzusehen, bevor ich mich mittags mit Bristow treffe. Vielleicht sieht es unverfänglicher aus, wenn Sie mich begleiten.«
»Vashti? Die Boutique?«, fragte Robin sofort.
»Genau. Sie kennen sie, ja?«
Jetzt musste Robin lächeln. Sie hatte in diversen Zeitschriften darüber gelesen: Für sie stand die Boutique sinnbildlich für den Glamour Londons; hier entdeckten die Modejournalistinnen jene sensationellen Outfits, die sie später ihren Leserinnen präsentierten; Kleidungsstücke, die gut und gern das Sechsfache von Robins Monatsgehalt kosteten.
»Ich habe davon gehört«, sagte sie.
Er nahm ihren Trenchcoat vom Haken und hielt ihn ihr hin.
»Sie sind meine Schwester Annabel. Und Sie helfen mir, ein Geschenk für meine Frau auszusuchen.«
»Was für ein Problem hat dieser Drohbriefschreiber überhaupt?«, fragte Robin, als sie kurz darauf nebeneinander in der U-Bahn saßen. »Wer ist das?«
Sie hatte sich all ihre neugierigen Fragen nach Jonny Rokeby und nach der dunkelhaarigen Schönheit verkniffen, die an ihrem ersten Arbeitstag aus dem Gebäude gestürmt war; sie hatte kein einziges Wort über die Campingliege in Strikes Büro verloren; aber sich nach den Drohbriefen zu erkundigen stand ihr doch sicherlich zu. Immerhin war sie diejenige, die bislang drei rosafarbene Briefumschläge aufgeschlitzt und die unangenehmen, gewaltdurstigen Ergüsse hatte lesen müssen, die der Verfasser zwischen die herumtollenden Kätzchen gekritzelt hatte. Strike würdigte diese Briefe keines Blickes.
»Er heißt Brian Mathers«, erklärte er. »Er kam im vergangenen Juni zu mir, weil er den Verdacht hatte, seine Frau würde fremdgehen. Er wollte sie observieren lassen, also habe ich sie einen Monat lang beschattet. Eine absolut unscheinbare Frau: schlicht, altbacken gekleidet, mit einer billigen Dauerwelle; arbeitete in der Buchhaltung eines großen Teppichgeschäfts. Verbrachte ihre Arbeitszeit mit drei Kolleginnen in einem stickigen kleinen Büro, ging jeden Donnerstag zum Bingo, erledigte freitags ihren Wocheneinkauf beim Discounter, und samstags ging sie mit ihrem Mann in den Rotarier-Club.«
»Und wann sollte sie seiner Meinung nach fremdgehen?«, fragte Robin.
Ihre blassen Spiegelbilder schwankten leicht in dem undurchsichtigen schwarzen Fenster gegenüber; unter dem fahlen Licht der grellen Neonröhren wirkte Robin älter, aber irgendwie ätherisch, und Strike schroffer und hässlicher.
»Donnerstagabends.«
»Und – ist sie?«
»Nein, sie war tatsächlich mit ihrer Freundin Maggie beim Bingo, aber an allen vier Donnerstagen, an denen ich sie beschattete, kam sie absichtlich erst später heim. Zuerst setzte sie Maggie ab, dann fuhr sie noch eine Weile herum. An einem Abend ging sie in einen Pub, setzte sich schüchtern in eine Ecke und trank ganz allein einen Tomatensaft. Ein andermal wartete sie an der
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