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Der Ruf des Kulanjango

Der Ruf des Kulanjango

Titel: Der Ruf des Kulanjango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gill Lewis
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bestrichen mit Kalkfarbe, die mit den Jahren grau geworden war. Daneben lag die alte,verfallene Hütte eines Kleinbauern. Vielleicht hatte ich Iona auf dem Weg hierher verpasst. Vielleicht war sie schon im Baumhaus. Aber ich war mir sicher, dass es nicht so war. Ich wusste, dass sie genau diesen Weg nehmen würde, ich wusste es einfach.
    Nachdem ich die Straße entlang in Richtung Haus getrottet war, verlangsamte ich meinen Schritt in der Nähe des offenen Gartentürchens. Der Vorgarten war total verwildert. Ein altes Bettgestell lag in der Ecke, von Ackerwinden überwuchert. Die weißen, trompetenförmigen Blüten verzierten die rostigen Sprungfedern und den ramponierten Bezug.
    Ein funzeliges Licht war von draußen zu sehen. Ich war noch nie in dem Haus gewesen. Rob und ich hatten uns immer gegenseitig herausgefordert, an die Tür zu klopfen und davonzurennen. Wir hatten uns dann im Gebüsch versteckt und den verrückten alten McNair dabei beobachtet, wie er in der Tür stand und mit seinen Stöcken wild in der Luft herumfuchtelte.
    Was, wenn Iona nicht im Haus war?
    Mein Herz pochte.
    Ich durchquerte den Vorgarten und blieb am Eingang stehen. Die blassblaue Türfarbe blätterte ab.
    Ich klopfte und wartete.
    Die Tür ging einen Spalt weit auf.
    Ich konnte Ionas Großvater sehen, seine weißen Bartstoppeln, ein gerötetes Auge und den Ärmel seines Schlafrocks.
    »Was willst’n du?« Sein Atem stank nach Whisky.
    Ich wollte am liebsten wegrennen. »Ist Iona da?«
    Er blinzelte mich durch den Türspalt an. »Bist du nicht Callum McGregor?«
    »Bin ich, Mr McNair.«
    Er öffnete die Tür ein bisschen weiter. »Komm rein, wenn du willst. Lang bleiben kannste nich. Iona geht’s nich gut. Hat ’ne Sommergrippe. Hatt’se selbst mal, lang ist’s her.«
    Ich folgte ihm ins Wohnzimmer und musste mich dabei um jede Menge Schachteln und Stapel alter Zeitungen herumdrücken. Das Zimmer roch feucht und moderig, wie verschimmeltes Getreide. Vor das Fenster waren dünne braune Vorhänge gezogen und ein Fernseher flimmerte in der Ecke still vor sich hin. Iona lag unter ein paar Decken zusammengekauert in einem Lehnstuhl. Sie sah aus, als würde sie trotz der Hitze frieren. Neben ihr am Boden stand eine Tasse Tee mit kaltem Milchschaum und ein Teller mit einem Stück Toast.
    Unter seinen buschigen Augenbrauen funkelte mich Ionas Großvater an. »Bleib nich zu lang.« Er nahm eine halb leere Flasche Whisky und schlurfte davon. »Ich bin im Bett, Iona. Ruf mich, wenn de mich brauchst.«
    Ich setzte mich direkt neben sie, auf einen Stapel alter Zeitungen.
    »Hi, Iona«, sagte ich. »Bist du okay?«
    »Bin heute Morgen mit Grippe aufgewacht«, sagte sie. Sie wischte sich mit einem zerknüllten Papiertaschentuch über die Nase.
    Ich gab ihr eine Schachtel mit sauberen Tüchern, die am Boden stand.
    »Danke«, sagte sie. Sie lehnte sich zurück und drückte mit den Fingern auf die Stirn.
    »Fühlt sich an, als würde mein Kopf explodieren. Ich hab’s einfach nicht geschafft, zum Baumhaus zu kommen. Tut mir leid.«
    »Macht doch nichts«, sagte ich. »Ein andermal.«
    Iona kniff ihre Augen ganz fest zu. Sie bemühte sich, nicht zu weinen, das konnte ich sehen.
    Sie musste sich ziemlich elend fühlen. Ich glaube, sie hätte sonst um keinen Preis auf unsere Nacht im Baumhaus verzichtet.
    »Das Gemälde ist wirklich gut«, sagte ich, »das vom Fischadler.«
    »Magst du es?«
    Ich nickte. Ich nahm die Feder aus der Tasche. »Die hab ich für dich gefunden«, sagte ich.
    »Fischadlerfeder«, murmelte sie. »Wo hast du sie entdeckt?«
    Ich begann, Iona davon zu erzählen, aber sie hörte nicht wirklich zu. Sie hatte die Augen geschlossen und dämmerte langsam in den Schlaf. Und ich saß da und schaute den stummen Menschen im Fernsehen zu. Iona atmete kurz und flach. Ich hörte, wie Dielenbretter knarrten, und ich hörte den dumpfen Plumps, als Ionas Großvater im Zimmer über uns ins Bett stieg.
    Ich legte ihr die Feder in die Hand und stand auf, um zu gehen.
    »Tschüs, Iona«, flüsterte ich.
    »Callum?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Gib auf Iris acht, pass auf, dass ihr nichts passiert.«
    »Du kannst morgen selbst nach ihr sehen«, sagte ich.
    »Versprich’s mir.«
    Iona blickte mich mit müden Augen an.
    »Ja, Iona«, sagte ich, »natürlich, ich versprech’s dir.«
    Ich zog die Decken um sie herum fest und verließ das Haus.
    Das Wetter hatte sich total verändert. Der Regen hämmerte auf den heißen Straßenbelag. Überall

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