Der Ruf des Kulanjango
wetterleuchtete es neongelb.
Ich ging im Monsunregen nach Hause.
Iona sah ich nie wieder.
Kapitel 18
Als ich aufwachte, prasselte der Regen an die Fensterscheibe. Es war schon neun. Ich hatte lange geschlafen. Ich zog mich an und spähte aus dem Fenster. Es hatte die Nacht über heftig geregnet. Der Hof war von tiefen Pfützen übersät. Kip und Elsie bellten in ihren Hundehütten. Ich schaute noch einmal auf die Uhr und dachte, dass irgendetwas nicht stimmte, denn Dad hätte sie normalerweise bereits längst rausgelassen.
Ich ging runter in die Küche und Mum drehte sich zu mir, als ich die Tür öffnete. Auch Dad, Graham und Hamish waren da. Graham knallte seine Tasse auf den Tisch und stürmte aus dem Zimmer. Dad und Hamish vermieden es, mich anzusehen. Waren sie auf irgendetwas sauer? Wussten sie was von unserem Plan, im Baumhaus zu übernachten?
»Setz dich, Callum«, sagte Mum.
»Hab ich was angestellt?«
Mum legte die Arme um mich. »Es geht um Iona«, sagte sie. Mum hielt mich ganz fest. »Sie ist gestorben … diese Nacht.«
Ich stieß Mum weg. »Nein. Aber ich hab sie doch gesehen! Ich hab sie doch letzte Nacht gesehen!«
Dad kam zu mir rüber. »Es tut mir so leid …«
»Das ist nicht wahr!«, brüllte ich. »Sie war okay. Sie hatte eine Sommergrippe, nichts weiter, nur eine Grippe.« Ich sah Hamish an. Er war ganz blass, leichenblass.
»Ich komme gerade von ihrem Haus«, sagte er. »Der Rettungswagen war da.«
Ich wich zurück zur Tür, schlüpfte in die Stiefel und rannte davon, rannte und rannte. Meine Lungen brannten und meine Brust tat weh, aber ich rannte, bis ich das Baumhaus erreicht hatte.
Ich hievte mich die Strickleiter hoch. Meine Hände stachen vor Kälte und meine Füße rutschten von den nassen Holzsprossen. Ich stieß die Falltür auf und stemmte mich hoch. Jeder Winkel des Baumhauses war von Regenwasser durchnässt. Von den Schlafsäcken tröpfelte das Wasser. Der Kuchen am Tisch war nur noch Brei. Und die Farben von Ionas Adlergemälde befleckten den Boden wie Blutstropfen. All die klitzekleinen Feinheiten waren verschwunden. Jetzt sah man nur noch einen Geisteradler.
Ich kickte die Keksschachtel durch die Falltür und sah zu, wie sie scheppernd gegen den Fuß des Baumes prallte. Ich wollte schreien und brüllen. Ich wollte weinen. Aber die Tränen wollten einfach nicht fließen.
Als ich die Fensterläden aufriss, knallte sie der Nordwind gegen die Holzwand. Ich lehnte mich aus dem Fenster.
»Iona ist tot«, brüllte ich, »tooot!«
Iris drehte den Kopf in meine Richtung. Sie hockte auf der windabgewandten Seite ihres Nistbaumes. Das marmorierte Braun der Flügel verschmolz mit der zerfurchten Baumrinde. Das Männchen saß im Horst. Den Jungvogel konnte ich nicht sehen, aber ich wusste, irgendwo da drin musste er kauern, bemüht, sich trocken zu halten.
Ich beugte mich bis unter die Gürtellinie aus dem Fenster. »Sie ist tot«, schrie ich, »tot! Aber was weißt du schon? Du bist doch nur ein dummer Vogel!«
Iris sträubte das Gefieder und beobachtete mich mit aufmerksamen Augen. Ihr Warnruf schallte durch den strömenden Regen. »Kiii … kiii … kiii.«
Ich klatschte in die Hände und Iris flatterte in die Lüfte. Die helle Unterseite ihres Körpers hob sich vom eisengrauen Himmel ab. »Du bist nur ein dummer, stummer Vogel!«
Ich knallte die Fensterläden an die Wand des Baumhauses. Der Lärm schallte über den See und Iris zog über den bewaldeten Hang hinter mir davon.
Ich saß da und starrte über den See, starrte einfach nur über den See. Vereinzelte Sonnenstrahlen brachen durch die Wolken. Iris kehrte nicht zum Nest zurück. Iona hatte gesagt, das Weibchen würde Ende der Woche zu ihrer Reise ins Winterquartier nach Afrika aufbrechen. Vielleicht war sie schon unterwegs. Ich hatte Iona versprochen, mich um Iris zu kümmern, und nun hatte ich sie verscheucht.
Ich war fast eingenickt, als ich über meinem Kopf dassanfte Rauschen von Flügeln hörte, gefolgt von einem dumpfen Plumps. Iris war auf einem Ast neben dem Baumhaus gelandet. Ich wagte kaum zu atmen. Sie war so nahe! Ich konnte jede einzelne Zeichnung ihres Gefieders sehen und die metallisch glänzende Krümmung jeder Klaue. Das Adlerweibchen plusterte sich auf und suchte den südlichen Horizont ab.
»Du fliegst weg, stimmt’s?«, flüsterte ich.
Sie drehte mir den Kopf zu und fixierte mich mit ihren leuchtend gelben Augen. Sie blickte mir direkt ins Herz. Und plötzlich wusste ich, wusste es in
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