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Der Ruf des Kulanjango

Der Ruf des Kulanjango

Titel: Der Ruf des Kulanjango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gill Lewis
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nach ihr. Das war so, als würde sie dieser Kontakt am Leben erhalten, als würde sie wissen, dass ich hier war und auf sie achtgab. Sie hielt sich immer noch in Gambia auf, in der Nähe der Küste. Auf den Fotos waren lange, weiße Sandstrände zu sehen und Flussmündungen mit Mangrovenwäldern. Ihr Signal hatte fast eine Wochelang wiederholt dieselbe Bucht überquert. Hamish sagte, die erste Woche nach der Freisetzung sei die schwierigste und die entscheidende. Alles oder nichts. Aber Iris hatte es geschafft. Sie flog wieder und sie jagte wieder. Sie war am Leben.
    Ich vermisste sie. Seit Ewigkeiten war ich nicht mehr beim Horst gewesen. Ich nahm mir fest vor, am nächsten Morgen früh aufzustehen und ihn nach Sturmschäden zu untersuchen. Es war eher ein Vorwand, dort hinzugehen. Nach einer Woche Herumorganisieren wollte ich einfach nur ein bisschen allein sein, droben in den Bergen. Ich legte meine Fleecejacke und dicke Socken zurecht und stellte den Wecker auf sechs Uhr dreißig.
    Ich wachte auf, bevor der Wecker summte. Draußen war es noch dunkel und still. Im Licht des Halbmonds funkelten Eisblumen an der Fensterscheibe. Ich stand auf, zog mir ein paar Schichten Kleidung über und ging hinunter in die Küche. Die Hitze des Kochherds wärmte den Raum. Ich brach ein Stück vom Brotlaib ab, den Mum stehen gelassen hatte, zog die Stiefel an und schlüpfte hinaus auf den Hof.
    Im Schafstall brannte Licht. Dad war schon auf den Beinen und sah nach den Tieren. Ich hörte das Stroh rascheln, als Kip aus seiner Hütte hervorlugte, um mich zu begrüßen. Sein Schwanz klopfte an die Holzwand seines Häuschens und sein Atem bildete in der Kälte weiße Schleierwölkchen.
    »Nun komm schon«, sagte ich, beugte mich zu ihm, löste seine Kette und wuschelte das dicke Winterfell. Erschleckte mir übers Gesicht und bellte. »Schsch, Kip, keinen Lärm«, flüsterte ich ihm zu und hielt ihm die Hand vor die Schnauze. Als habe er verstanden, trottete er schweigend vor mir her, zum Hof hinaus und auf den Pfad Richtung See.
    Ich liebte die Farm vor Sonnenaufgang. Das war eine ganz andere Welt. Das Licht des Mondes spiegelte sich in eisverkrusteten Pfützen und beleuchtete den Weg. Die Konturen der Berge waren dunkel und weich, wie Wellen auf einem mitternächtlichen See, und der Wald war ein derart dunkler Fleck, dass man glaubte, er sei undurchdringlich. Es gab keine Farben außer diesem tiefen, tiefen Blau.
    Als ich den See erreicht hatte, war ich ganz außer Atem. Der Mond schwamm als leuchtend weißer Ball im Wasser. Der Horst war schwer auszumachen, vom Boden aus war er fast unsichtbar. Wer nichts von seiner Existenz wusste, würde ihn übersehen.
    Ich dachte daran, ins Baumhaus zu klettern, nur um mal hineinzuschauen. Aber ich brachte es einfach nicht über mich. Iona und ich hatten dort oben nie übernachtet. Also setzte ich mich auf einen flachen Felsen, der in den See ragte, und kaute auf dem Stück Brot herum, das ich noch in der Tasche hatte.
    Über dem östlichen Himmel breitete sich ein fahles Licht aus. Das nächtliche Land verblasste. Langsam flossen die Farben in den Tag, das bleiche Grün der Weiden, das torfige Braun des Sees und die Streifen des sich ankündigenden Sonnenlichts hinter den Wolken am Horizont.
    Vielleicht hätten Iona und ich hier gesessen, auf diesem Felsen, und eine Morgendämmerung genau wie diese beobachtet. Vielleicht.
    Ich warf Kip die Brotrinde zu. »Also, los jetzt«, sagte ich. »Ich muss zur Schule und du musst heute mit Dad arbeiten.«
    Ich sprang vom Fels, aber Kip stand vollkommen still, spitzte die Ohren und starrte runter ins Tal.
    »Komm schon, Kip«, sagte ich. Er folgte mir den Pfad hinunter, am Fluss entlang, hielt jedoch wieder an. Er ließ ein schwaches Knurren hören und sein Nackenfell sträubte sich.
    Kip sah den Mann, bevor ich ihn sah.
    Auf unserem Land gab es fast nie Spaziergänger und Wanderer, schon gar nicht zu solch einer frühen Morgenstunde.
    Wir trafen an einer abschüssigen Wegbiegung zusammen. Kleine Steinchen, die der Mann losgetreten hatte, kullerten hangabwärts.
    »Hallo. Du bist doch Callum McGregor?«, begrüßte er mich mit vornehmem englischen Akzent und lächelte, als habe er erwartet, mich hier zu treffen.
    Ich nickte.
    Er hielt seine Kamera hoch, eine große mit riesigem Objektiv. »Hast du was dagegen, wenn ich dich fotografiere? Ich mache einen Bericht über den Fischadler, den du gerettet hast.«
    Ich spürte, wie sich Kip gegen mein Bein

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