Der Ruf des Kulanjango
eintraten.
Zuerst ging es hektisch zu. Die Leute durchwühlten Kleiderhaufen und Stapel an Büchern und DVDs. Tee und Kaffee belebten das Geschäft und auch Mums Gebäck kam gut an. Ich betreute einen Verkaufsstand mit gebrauchten CDs und Elektronik-Krimskrams. Das Interesse war zwar groß, aber kaufen wollte niemand was. Mum brachte mir was zu trinken und ein Stück Schokoladenkuchen.
»Es läuft gut.« Mum lächelte.
»Was glaubst du, wie viel wir schon eingenommen haben?«, fragte ich.
Mum zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, aber ich schätze, dass wir allein mit Tee und Kaffee über hundert Pfund verdient haben.«
Während ich meinen Kuchen mampfte, bediente sie weiter. Ich beachtete ihren Verkaufsstand kaum, bis zu dem Moment, als ich Mums Stimme hörte.
»Hallo, Mr McNair, wie geht es Ihnen?«
Ich schaute hoch. Vor uns stand Ionas Großvater. Er schien noch kleiner, noch gebückter zu sein, als ich ihn in Erinnerung hatte. Er tastete in seinem Mantel nach der Geldbörse und dann hielt er sie in seinen braunen, ledrigen Händen, die ganz stark zitterten.
»Ich nehm das Fahrrad«, sagte er.
Mum lächelte. »Das ist ein kleines bisschen zu teuer, fürchte ich«, sagte sie.
Mr McNair öffnete die Börse und zog ein paar Scheine heraus.
Er legte sie auf den Tisch und zählte sie in Zwanzigern ab.
»Mr McNair …«, protestierte Mum.
»Das sind vierhundert Pfund«, sagte er.
»Das ist eine Menge Geld … das können Sie sich nicht leisten«, sagte Mum.
Mr McNair zog noch eine Zehnpfundnote hervor und knallte sie auf den Tisch. »Und die zwei Forellen am nächsten Stand nehm ich noch dazu.«
Er steckte die Fische in eine Plastiktüte, packte Robs Fahrrad an der Lenkstange, ging aus dem Saal und war verschwunden.
Mum hob das Geld auf und starrte ihm hinterher.
Ich hatte keine Ahnung, wie ich das Rob beibringen sollte.
Kapitel 35
Um fünf Uhr war der Saal leer. Ein paar Bücherkisten und ein Sack mit alten Klamotten standen noch herum, aber das meiste hatten wir verkauft. Mum machte frischen Tee, wir setzten uns, verdrückten den Rest des Kuchens und zählten das Geld. Es war ein ganzer Haufen, Stapel von Münzen und Tüten voller Banknoten. Ganz zum Schluss stießen noch Rob und sein Dad zu uns.
»Okay, die Gesamtsumme beträgt«, verkündete Hamish mit einem breiten Grinsen, »eintausendvierhundertzweiundsechzig Pfund und acht Pence.«
Alle Erwachsenen jubelten. Ich aber nicht. Das war nicht genug. Nun, am Ende dieser Woche, hatten wir also herausgefunden, dass es allein schon schwierig war, Jeneba hierher zu bringen. Sie war keine britische Staatsbürgerin, also musste ihre Behandlung bezahlt werden und würde Zehntausende von Pfund kosten. Ich setzte mich zu Rob und Euan an den Tisch.
»Es ist ein Anfang«, sagte Rob. »Wir können noch mehr Geld sammeln.«
Ich nickte. Ich wollte nicht, dass Rob glaubte, er habe sein Fahrrad für nichts verkauft.
»Es ist also verkauft?«, sagte Rob.
»Tut mir leid«, sagte ich.
Euan schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich kann’s immer noch nicht fassen, dass du das wirklich getan hast«, sagte er. »Ich mein, das Bike war doch ein Teil von dir. Was machst du denn ohne fahrbaren Untersatz?«
Rob sackte in seinem Stuhl zusammen. »Ich hab doch noch Beine«, erwiderte er mit einem halbherzigen Lacher. »Ich schätze, ich muss stattdessen anfangen zu laufen.«
Es war bereits dunkel, als wir den Saal gereinigt und die Stühle weggeräumt hatten. Während Mum das Gemeinschaftshaus abschloss, gingen wir schon auf den Parkplatz.
Euan schubste mich. »Da drüben«, sagte er.
Ich sah über die Straße. Unter der Straßenlampe stand Mr McNair mit Robs Fahrrad.
Rob hatte ihn auch bemerkt, hielt jedoch seinen Kopf gesenkt und folgte seinem Dad zum Wagen.
Mr McNair schob das Rad zu uns herüber. Unter seinen buschigen Augenbrauen starrte er Rob an. Eine peinliche Stille trat ein.
Mr McNair ließ Rob nicht aus den Augen. »Du also bist Rob, der Junge mit dem Schandmaul und den großen Rädern«, brummte er. »Schandmaul und keine Manieren, das war’s, was ich mal gehört hab.«
Mr McNair stand ganz dicht vor uns. Ich konnte dieÄderchen sehen, die das Weiß in seinen Augen spinnwebartig durchzogen. Und ich sah seine stoppelige, faltige Gesichtshaut.
Rob warf einen flüchtigen Blick auf sein Fahrrad und sah dann zu Boden.
»Komm schon«, sagte Robs Dad und wollte Rob wegziehen.
Mr McNair schob das Fahrrad noch näher. Fast berührte er Rob damit.
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