Der Ruf des Satyrs
Herrschern in der Anderwelt geboten wurde. Offenbar hatte man ihnen gesagt, dass in den Adern der Brüder mehr als nur ein Hauch königlichen Blutes floss.
»Dann fahrt fort, wenn es denn sein muss!«, grollte Dane, denn wie es schien, erwarteten die beiden eine Aufforderung.
Schulter an Schulter stehend, begannen sie, ihre Nachricht aus dem Gedächtnis zu rezitieren:
Einen guten Vollmondmorgen Euch, Ihr Herren von Satyr,
wir schreiben Euch heute, um unserer Besorgnis über die kürzlichen ungeklärten Todesfälle in Rom Ausdruck zu verleihen – neun Leichname von Angehörigen der Anderwelt, die allein im letzten Jahr im Tiber gefunden wurden. Dazu noch viele kleinere Unbesonnenheiten beim Gebrauch von Magie durch einige unserer Art in unseren italienischen Kolonien, so dass die endgültige Entdeckung unserer Existenz dort unausweichlich scheint. In einem solchen Fall ist unser Zugang zu den Weinbergen und Oliven in Gefahr – ebenso wie Euer Landbesitz, Euer Wohlstand und Euer Bürgerrecht. Es ist daher dringend geboten, dass Ihr Eure Stellung hier festigt. Und diesbezüglich haben wir einen Vorschlag zu unterbreiten.
»Darauf wette ich«, murmelte Bastian. Die beiden Botinnen sahen stirnrunzelnd zu ihm hinüber und fuhren dann fort.
Wir alle hier in der Anderwelt haben ein ureigenes Interesse daran, den Fortbestand Eurer königlichen Blutlinie zu sichern, da sie eine der ältesten ist. Da es jedoch nahezu unmöglich für Euch ist, in unserer Welt Nachkommen zu zeugen, aufgrund der Krankheit, die die meisten unserer Frauen befallen hat, liegt unsere größte Hoffnung, die Zukunft Eurer Linie zu sichern, in der Gebärfähigkeit menschlicher Frauen. Wir verpflichten Euch daher, Euch zweckdienlich zu verheiraten und Euch menschliche Frauen zu nehmen, die Euch, mit der Gnade der Götter, viele Satyrsöhne und menschliche Töchter schenken werden.
Gepriesen seien die Götter!
Der ehrenwerte Rat der Anderwelt
»Ah, es geht doch nichts über eine ordentliche Anweisung aus der Anderwelt am Morgen!«, bemerkte Sevin, wobei er einerseits ausgiebig seine beachtlichen Arm- und Rückenmuskeln streckte und sich andererseits gegenüber dem, was er gehört hatte, völlig gleichgültig zeigte.
»Müssen wir darauf eine Antwort senden?«, fragte Dane. Als ein Abtrünniger mit weit mehr Grund, vor dem Rat auf der Hut zu sein als sein Bruder, ging er ihre Worte sorgfältig im Geiste durch.
Die Botinnen sahen etwas überrascht drein, schüttelten jedoch nur die Köpfe. »Man setzt voraus, dass Ihr Eure Pflicht erfüllen werdet.«
»Dann sammelt Eure Habseligkeiten auf, meine Damen!«, bemerkte Sevin freundlich. »Ich werde Euch zurück zum Tiber geleiten, um sicherzustellen, dass Ihr nicht aufgehalten werdet.« Die Botinnen würden durch das Netzwerk aus Magie reisen, das sich von Rom bis in die Toskana erstreckte, und dort durch das alte Portal zwischen ihren Welten nach Hause zurückkehren. Dieses magische Netzwerk war durchweg mit Kreuzungen aus Olivenbäumen und Weinreben bepflanzt, die aus der Anderwelt hierhergebracht worden waren und nun einen beständigen Duft ausströmten, der jeden Menschen in ihrem Wirkungsbereich mit einem Zauber belegte. Dies hatte den positiven Effekt, dass die Wesen der Anderwelt in Gestalt von Menschen ihren Geschäften nachgehen konnten und übernatürliche Ereignisse für die Bewohner dieser Welt normal erschienen. Dennoch: Die Magie, die dieses Gebiet umhüllte, war zerbrechlich. Der Rat hatte recht – dass sie letztendlich entdeckt wurden, schien unausweichlich.
Nachdem Sevin und die beiden Nereiden zum Fluss aufgebrochen waren, fand Dane einen seiner Stiefel wieder und zog ihn an. »Du warst die ganze Nacht hier?«, erkundigte er sich bei Bastian. »Und Sevin auch?«
Sein Bruder nickte. »Hast du unsere Anwesenheit hier nicht gespürt?«
Danes Kopf zuckte hoch, und beide Brüder betrachteten forschend das Gesicht des jeweils anderen. Während der Rufnacht waren die Satyrn unaufhaltsam getrieben, zusammenzukommen, um die Rituale des Vollmondes zu begehen. Uralte Blutsbande vereinten sie und ließen sie alle Gefühle und Wahrnehmungen miteinander teilen. Der Liebesakt des einen schürte die Leidenschaft der anderen und steigerte damit die Wonne aller. Doch letzte Nacht war Dane um alle körperliche Befriedigung betrogen worden – durch das Phantom, das in ihm schlummerte. Er erinnerte sich an nichts.
Und in den Augen seines Bruders konnte er erkennen, dass dieser während der
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