Der Ruf des Satyrs
Leben war, würde Luc in einem Monat achtzehn Jahre alt werden. In vier Wochen würde ein neuer Vollmond aufgehen, und sein junger Körper würde zum ersten Mal in seinem Leben die Wandlung durchmachen. Luc würde Gefahr laufen, seinen Entführern seine wahre Natur zu enthüllen.
Luc. Götter, wo steckst du nur? Wenn du noch lebst, bitte halte noch ein wenig durch! Ich werde dich finden!
Ein Ruf erklang in der Nähe und holte Dane unsanft wieder in die Gegenwart zurück.
»Fischer«, murmelte Bastian. »Sie haben uns gesehen.«
»Ruft die
polizia!
«, rief Sevin und lief ihnen entgegen. »Wir haben einen Leichnam gefunden!«
Dane rappelte sich wieder hoch und sah den Fluss hinab, während er tief Luft holte. In der Ferne nahm er kurz ein schwaches Schillern wahr – die beiden Nereiden, die auf dem Weg nach Westen ins Tyrrhenische Meer waren, wo sie sich dann nordwärts in Richtung Toskana wenden würden. Nach ihrer Reise durch ein Labyrinth von Meer, Fluss, Nebenfluss und Bach würden sie dann noch eine kurze Strecke über Land zurücklegen, um schließlich durch das Portal in die Anderwelt zu gelangen.
Ohne Zweifel würden sie schnell schwimmen, begierig, ihre pikanten Häppchen an Klatsch und Tratsch loszuwerden. Den Aufenthaltsort eines Abtrünnigen – Dane. Er hatte zwei, vielleicht noch drei Wochen, höchstens, bevor der Rat ihm seine Tracker auf den Hals hetzte. Er würde sich nicht vor ihnen verstecken. Aber ebenso wenig würde er zulassen, dass sie ihn festnahmen. Allerdings fiel ihm nur ein Grund ein, der sie aufhalten würde. Diese Lösung war ihm vorhin im Tempel eingefallen. Und nun lag ihm die zerknitterte Schriftrolle, die er in seine Tasche gestopft hatte, auf der Seele.
Die Fischer waren herangekommen und standen nun bei dem Leichnam, riefen laut, bekreuzigten sich und murmelten Gebete, während sie auf die Ankunft der Leute von den örtlichen Behörden warteten.
»Sie kümmern sich darum«, sagte Bastian hinter Dane. »Lass uns frühstücken und ein Bad nehmen. Danach bist du wieder mehr du selbst.«
Dane nickte, und die drei machten sich wieder auf den Heimweg. »Kannst du mich zum Kapitol mitnehmen, wenn du später gehst?«, fragte er sachlich.
»Was ist auf dem Kapitol?«, wollte Sevin wissen.
»Eine Ehefrau«, antwortete Dane.
Mit dem ersten Morgenrot verließ der Nebelnymph Evas Bett und kehrte klaglos in den Äther zurück, aus dem er geschaffen worden war. Sie lag nackt zwischen zerwühlten Laken, während die Welt vor ihren Augen langsam wieder klar wurde und ihr Körper noch immer von seinen Zärtlichkeiten glühte. Abgesehen von ihrem schnellen Atem war es totenstill. Sie war allein. Melancholie. Sie rekelte sich und fühlte einen angenehmen Rest von Empfindsamkeit an den intimen Stellen ihres Körpers.
Letzte Nacht unter dem Vollmond hatte ein urtümlicher Instinkt sie mit Körper und Geist zum Geschlechtsakt getrieben. Sie hatte Dutzende Orgasmen erlebt, sowohl durch eigene Hand als auch durch die Zärtlichkeiten ihres beschworenen Liebhabers. Ohne einen eigenen Willen zu besitzen, hatte er jede ihrer Anweisungen ausgeführt. Er hatte ihren Körper gewärmt, doch nicht ihre Seele, wie es ein Liebhaber aus Fleisch und Blut in ihrer Vorstellung vielleicht getan hätte. Immer wenn sie sich in ihrer Wonne verloren hatte, und wenn auch nur für einen kurzen Moment, hatte sie aufgehört, ihm Anweisungen zu erteilen, und in solchen Augenblicken hatte er die lästige Angewohnheit, in seinen Bemühungen nachzulassen. Dieses Problem kehrte mit jedem Ritual zu Vollmond wieder, und sie wusste keine Abhilfe dafür.
Sie hatte ihn dominiert, und er hatte sich ihrem Willen untergeordnet. Das stellte das genaue Gegenteil dessen dar, was sie von einem Liebhaber wollte. Viel lieber wäre ihr ein Mann gewesen, der sie beherrschte und die Dinge in die Hand nahm. Ein Mann, der sie mit seinem Geist und seiner Stärke führte, zu tieferer Wonne mit Herz und Verstand – und Körper. Denn wenn man mit allem – Körper, Geist und Seele – dabei war, wäre die Lust dann nicht noch viel stärker? Dies war etwas, das sie sehnlichst für sich zu entdecken wünschte.
Diese wenigen Augenblicke, in denen sie in derartigen Sehnsüchten schwelgte, waren ein Luxus, den sie sich nur zu Tagesanbruch unmittelbar nach dem allmonatlichen Ritual gönnte, in der Ungestörtheit dieses Raumes. Bei vollem Tageslicht würde sie diese Torheiten hinter sich lassen und weiter dem Geschäft nachgehen, ein
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