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Der Ruf des Satyrs

Der Ruf des Satyrs

Titel: Der Ruf des Satyrs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Amber
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geheim zu halten und sie auf ein einziges Ziel hin zu erziehen: Wenn Eva erwachsen war, sollte sie irgendwie zurück nach Rom gelangen und einen wohlhabenden Menschen heiraten – das, was ihrer Mutter nicht gelungen war.
    Und Eva hatte ihre Lektion gut gelernt. Nach dem Tod ihrer Mutter vor vier Monaten hatte sie sofort ein Visum für die Erdenwelt beantragt. Da die Nachfrage nach ihren besonderen Fähigkeiten beständig anstieg und sie sich als Fee ausgegeben und den Test, dank Odettes Pulvern, bestanden hatte, war ihr Visum schnell genehmigt worden.
    »Warum wollte sie nicht sagen, wer mein Vater war?«, fragte Eva sich laut. »Und wie konnte sie es
dir
verheimlichen? Du warst doch ihre engste Vertraute!«
    Mit einem »Ts« schüttelte Odette den Kopf. »Sie war ’ne Ehevermittlerin wie du, und immer Kerle um sie rum. Das war’n zu viele, die da reinkamen in ihr Bett und wieder raus, die konnt’ ich mir nich’ alle merken. Ich hab ihr gesagt, wenn se sich schon benimmt wie ’ne
Grande Horizontale,
sollse sich wenigstens auch wie eine bezahl’n lassen. Aber nee, die war verliebt in die Liebe, deine Mutter. Die war glücklich, wenn se ihre Kunden zwischen ihren Beinen hatte, solang’ se für sie unter den Menschen nach ’ner passenden Ehefrau gesucht hat.«
    Odette schüttete ein Häufchen fein gemahlenen Pulvers aus dem Mörser in die Teetasse. Dann nahm sie die Teekanne und füllte die Tasse mit dampfendem Wasser. Fantine und sie hatten zusammengearbeitet, um durch praktisches Herumprobieren die Zutaten für diesen Trank herauszufinden, und Eva hatte in ihrer Jugend so manches seltsame Gebräu getrunken, um ihnen dabei zu helfen, die genaue Zusammensetzung zu bestimmen.
    Abwesend rührte Odette mit einem kleinen Silberlöffel um und wartete darauf, dass sich das Pulver auflöste. »Meine arme kleine Fantine! Die Jahre sin’ vergangen, und jedes Mal hatte se genug von den Herr’n – Mensch oder Anderwelt –, lang bevor die genug von ihr gehabt hätt’n. War immer glücklich damit, denen Lebewohl zu sagen, sobald se die Kerle unter der Haube hatte. Hat auch nie nachgegeben, wenn se darum gebeten ham, dass se ihre Geliebte bleiben soll nach der Heirat, also hab ich mir keine Sorgen gemacht. Woher sollt’ ich denn wissen, dass ihr einer von denen ’s Herz bricht und se mit ’ner
bambina
sitzenlässt? Ist ’ne gute Lektion für dich.«
    Eva zog eine Grimasse. »Ich weiß, ich weiß.«
    »Dann is’ ja gut.« Odette schüttelte die Kissen auf. »Setz dich, Mademoiselle!«
    Eva legte das Buch beiseite, richtete sich auf und schlang die Arme um ihre Knie. Bis ihr die Tasse gereicht wurde, war deren Inhalt bereits abgekühlt, und sie trank schnell und ohne Widerrede. Nachdem sie diesen Trank schon ihr ganzes Leben lang jeden Morgen zu sich nahm, war sie an den bitteren Geschmack gewöhnt, ebenso wie daran, dass er die Tatsache verbarg, dass sie ein weiblicher Satyr war. Und nicht nur das. Durch den Trank wurde ihr Duft dem einer Fee so ähnlich, dass der Unterschied selbst für die Tracker nicht auszumachen war. Jedenfalls hatten diese nichts wahrgenommen, als sie zu ihnen geschickt worden war, um ihre Zugehörigkeit zu verifizieren. Sie hatten erklärt, dass sie überwiegend eine Fee wäre – Kind einer Feenmutter und eines menschlichen Vaters, wie sie behauptet hatte. Und so hatten Eva, ihre Dienstmagd und ihr Diener Pinot die Erlaubnis erhalten, in diese Welt zu reisen.
    Dieser Trank hatte es ihr ermöglicht, hierherzukommen und auch hier unentdeckt zu bleiben. Seinen wesentlichen Bestandteil bildete der kleine Kern einer Olive, die nur an ganz bestimmten Bäumen zu finden war – nämlich in den alten Hainen, die von den Satyrn gepflanzt worden waren. Was wiederum bedeutete, dass die Oliven hier in Rom nur an einem einzigen Ort wuchsen. Auf Land, das offensichtlich von dem – sehr realen – Mann erworben worden war, den sie letzte Nacht dort getroffen hatte. Die einzige Person, die sich nicht von ihrer List hatte täuschen lassen. Wie hatte er es erraten? Und warum nur er?
    Eva stellte die leere Tasse auf das Tablett. »War das aus den Oliven, die ich letzte Nacht mitgebracht habe?«
    »Non«,
antwortete Odette und öffnete schwungvoll das Fenster. »Es is’ von denen, die wir von den Bäumen in der Anderwelt mitgebracht haben. Da wirste noch mal zum Hain auf dem Aventin gehen und noch mehr sammeln müssen.«
    Zurückgehen? Und es riskieren,
ihm
zu begegnen? »Warum?«, fragte Eva alarmiert.

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