Der Ruf des Satyrs
sobald ihre Hände wieder frei waren, doch so lautete die traditionelle Ankündigung für den Beginn dieser Nächte, und die Nennung der Gruppe bei ihrem offiziellen Namen stellte eine Art Bevollmächtigung dar. Nun waren sie nicht länger Anwälte, Geschäftsmänner und Politiker, sondern geweihte Söhne des Faunus, die die Freiheit besaßen, Aktivitäten nachzugehen, die gesellschaftlich keinesfalls geduldet worden wären.
Sergio rollte das Seil um sein Handgelenk herum auf und schwenkte es auf einen Haken, der an einer Wand hing, als er zu seinem Sitz zurückging. Direkt darunter stand ein beschädigter Steintisch, auf dem sich eine große Schale, Weinflaschen und Kelche befanden.
Sybaritische Statuen aus Marmor und Granit zierten den Raum. Sie waren zwischen den neun Türen plaziert, die in die kreisrunde Wand eingebaut waren. Alle Türen waren geschlossen bis auf eine, die zu einem Raum führte, in dem sich derzeit nur ein schmales Bett und einige andere Möbelstücke befanden. Hinter den anderen Türen lagen ähnliche Räume, die von diesem zentralen Saal wegführten wie Speichen eines Rades.
Die zehnte Öffnung in der Wand hatte keine Tür, sondern führte in einen kleinen Flur, an dessen Ende man ein Raucherkabinett mit Zeitschriften, eine Auswahl an erotischen Geräten und Literatur, noch mehr alkoholische Getränke und Karten vorfand. Ein Herrenzimmer für später.
Getränke wurden eingeschenkt und Zigarren für diejenigen gereicht, die es wünschten, und man pflegte gedämpfte Konversation. Einige nahmen auf den Sesseln Platz, die hier und da um eine Plattform von der Größe eines Frühstückstisches herum standen, die in der Mitte des Saales angesiedelt war. Was sie heute Nacht hier tun würden, hatte keine Bedeutung an sich. Doch es handelte sich um ein altehrwürdiges Ritual, auf dem ihre Ehefrauen jeden Monat bestanden, einhergehend mit deren eigenen geheimen Riten oben.
»Irgendetwas Neues im Angebot?«, fragte einer der Männer.
Auf diese Frage hin breitete sich neue Energie in der Atmosphäre aus, und begierige Augen wanderten zu den Türen.
»Selbstverständlich«, antwortete Gaetano mit seiner seidenweichen kultivierten Stimme. Er schloss eine der Türen auf und öffnete sie weit.
Die junge Frau, die in der Zelle saß, registrierte ruhig seine Ankunft und sah ihn blinzelnd mit braunen Augen an. Er winkte sie zu sich. »Komm her, Mädchen!«
Gehorsam stand sie auf, ein geisterhaftes Lächeln auf ihren Lippen.
Sie trat zu ihm, und er führte sie in den zentralen Raum und die Stufen zu der kleinen Plattform in der Mitte hinauf.
Dann ließ er sie dort stehen und von den anderen begaffen, während er sich abwandte, um sich einen Drink einzuschenken und mit Sergio, dem Aufseher, zu sprechen. »Irgendwelche Schwierigkeiten heute?«
»Keine. Sin’ alle lammfromm«, erhielt er zur Antwort.
Gaetano hatte längst aufgehört, sich zu fragen, was dieser graue alte Bursche, der Tag und Nacht hier steckte, so alles trieb. Sergio versah seinen Dienst nun schon seit fast zwanzig Jahren, und er hatte immer den Mund gehalten. Das war genug, um ihn und seine Familie zufriedenzustellen.
Hinter ihnen strichen die Herren wie hungrige Löwen um die junge Frau herum. Sie stand einfach da, fügsam und unbekümmert, nur in ein Unterhemd aus durchscheinendem Stoff gehüllt.
Viel später, wenn er diese Männer wieder nach oben geleitet hatte, würde Gaetano zurückkehren, um hier zu schlafen. Er wäre viel lieber in seinem eigenen Bett oben gewesen, doch das war nicht seine Entscheidung.
Wie ein Maulwurf musste er jede Nacht hierherkommen, um Wache zu halten, während Sergio schlief. Dieser Umstand hatte ihm einen gewissen Ruf unter den Dienstboten des Hauses eingebracht, die Vermutungen anstellten und Gerüchte verbreiteten, er verbrächte seine Nächte in den Betten zahlreicher Damen in der ganzen Stadt. Er genoss diesen unverdienten Ruf, der ihm überdies ein willkommenes Alibi verschaffte. Denn sollte sich jemals die Wahrheit darüber verbreiten, wo er seine Nächte tatsächlich verbrachte, würde die
polizia
hier ein Wörtchen mitzureden haben.
Das Mädchen auf der Plattform hinter ihm ließ kaum eine Reaktion erkennen, als einer der Gaffer ihren Unterarm anhob. Seine Finger glitten über die zarten blauen Äderchen in ihrer Armbeuge, als spielte er die Saiten eines Instruments. »Sie haben sie betäubt?«, fragte er, als er die Einstichstellen bemerkte.
»So wie immer«, antwortete
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