Der Ruf des weißen Raben (German Edition)
Beistand. Es war das Einzige, was er im Augenblick tun konnte.
»Du hast recht, Chad. Die ganze Sache war eine verrückte Idee. Aber ich verspüre ein solch intensives Gefühl von Dringlichkeit, von Wichtigkeit, wenn ich an die Legende und den Talisman denke … Es ist wirklich verrückt.«
Bevor Chad antworten konnte, zog etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich. Er blieb stehen und bedeutete Myra, still zu sein. Dann ergriff er plötzlich ihre Hand, zog sie vom Trampelpfad weg und hinter ein paar Felsbrocken und Büsche.
Eine Stimme ertönte. Eine Stimme, die Myra seltsam bekannt vorkam. Dann tauchte ein Mann auf. Er trug einen dunklen Anzug und hielt ein Handy ans Ohr. Der Mann ging an ihrem Versteck vorüber und blieb wenig später stehen.
Myra spürte, wie ihr Herz zu schlagen aufhörte. Das konnte doch nicht wahr sein! Es war Simon Morris. Wie hatte er sie hier gefunden? Sie waren überzeugt gewesen, dass sie auf der Fahrt nach Squalath nicht verfolgt worden waren.
Sie spähte vorsichtig aus ihrem Versteck hervor. Es gab keinen Zweifel: der dunkle Anzug, die glatt zurückgekämmten schwarzen Haare, die ungeduldige Stimme. Es war tatsächlich Morris!
Myra wollte Chad etwas zuflüstern, aber er wehrte ab. Im nächsten Augenblick verstand sie, warum. Die Brise, die vom Meer heraufwehte, trug Morris’ Stimme zu ihnen herüber. Sie konnten verstehen, was er sagte.
»Hör zu, ich habe es versucht! Die alte Frau hat alles vergessen, und die andere behauptet, sie kann sich an nichts erinnern … Ich weiß, deshalb bin ich ja zurückgegangen … Ja, ich bin mir absolut sicher, dass sie reist, aber ich weiß nicht, wohin … Da bin ich anderer Meinung. Ich glaube nicht, dass sie uns gefährlich wird. Und außerdem, du hast selbst gesagt, dass sie unsere einzige Chance ist! Wir haben keinen anderen, der reisen und nach dem Ding suchen kann … Wir haben es doch versucht! Aber wir sind an Daten gebunden, das weißt du genauso gut wie ich! … Ich bin mir sicher, dass sie nichts weiß. Ihr zwanzig Jahre jüngeres Ich, das bereitet mir Sorgen. Es findet Dinge heraus, Dinge über uns … Ich weiß auch nicht, wie …« Die Stimme verlor sich.
Myra und Chad harrten in ihrem Versteck bewegungslos aus. Alle Farbe war aus Myras Gesicht gewichen. Er sprach von ihr, von ihr als zwanzig Jahre jüngere Frau! Was ging hier vor sich? Und warum war ihre Familie darin verwickelt?
Mit einem Mal trug der Wind Morris’ Stimme wieder bis zu ihnen.
»Ja, das kann ich tun, wenn du es unbedingt willst … Okay, ich werde zurückgehen … Mit welchen Mitteln auch immer, ich habe verstanden … Ich melde mich wieder, sobald ich mehr weiß.«
Wenige Augenblicke später beobachteten Myra und Chad, wie Morris wieder an den Felsbrocken vorbeiging, hinter denen sie sich verbargen, und wie er hinter der Wegbiegung Richtung Parkplatz verschwand.
Myra lehnte sich matt an einen der großen Felsbrocken, die Hand vor den Mund gepresst.
»Mein Gott, hast du das gehört, Chad?«, hauchte sie. »Er hat von mir gesprochen!«
»Wir müssen vorsichtig sein«, flüsterte Chad. »Wir wissen immer noch nicht, was hier vor sich geht. Vielleicht versucht Morris, uns eine Falle zu stellen.«
»Eine Falle?«
»Vielleicht hat er unser Auto auf dem Parkplatz entdeckt und ist uns suchen gegangen, konnte uns aber nicht finden. Und jetzt versucht er, uns mit diesem Telefontrick aus unserem Versteck zu locken.«
Myra blickte Chad entgeistert an. Auf eine solche Idee wäre sie nicht gekommen. Und überhaupt, wie konnte Chad nur ruhig dasitzen und solche Vermutungen anstellen?
»Ich glaube nicht, dass es ein Trick ist, Chad«, flüsterte sie. »Für mich hat es sich angehört, als hätte er tatsächlich mit jemandem gesprochen. Aber was ich am unheimlichsten finde«, sie sah ihn mit vor Angst geweiteten Augen an, »so wie ich es verstanden habe, kann er … durch die Zeiten reisen«, hauchte sie.
»Ich habe das Gefühl, dass ihm das noch nicht ausreicht«, sagte Chad nachdenklich.
»Noch nicht ausreicht? Was meinst du damit?«
»Ich denke, Morris hat an dem Abend bei Heather nicht die ganze Wahrheit gesagt. Er sucht nicht nur nach Informationen über den Talisman, Informationen, die du ihm vor zwanzig Jahren vielleicht hättest geben können, als du dich noch gut an die Geschichte erinnert hast, sondern nach dem Talisman selbst … Und er scheint Probleme zu haben, ihn zu finden.«
»Ich frage mich, warum«, warf Myra ein, »wenn er
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