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Der Ruf des weißen Raben (German Edition)

Der Ruf des weißen Raben (German Edition)

Titel: Der Ruf des weißen Raben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanna Seven Deers
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Schultern. Plötzlich begann der Kranz aus blauen Vogelfedern, der an seinem Hemd befestigt war, merkwürdig zu glänzen, zu strahlen, größer zu werden.
    Runa hielt den Atem an. Neben ihr hatte Erdis sich aufgerichtet, und beide Frauen starrten den alten Mann gebannt an.
    Das Glänzen der Federn wurde immer stärker und breitete sich mehr und mehr aus, bis es Ragns Körper ganz zu vereinnahmen schien. Runa und Erdis sahen noch immer seine Gestalt, aber sie glich jetzt einem kleinen blauen Vogel. Und schließlich war er der kleine blaue Vogel.
    Aber damit war es noch nicht genug. Im nächsten Augenblick verdunkelte sich das Federkleid des Vogels, und nach und nach wurde daraus ein struppiges Fell. Es wurde größer und größer, bis schließlich ein Wolf vor den beiden Frauen stand.
    Doch das Schauspiel war noch nicht zu Ende, denn schon bald begann der Wolf, sein Fell zu verlieren, und eine glänzende laubgrüne Haut breitete sich über seinem Körper aus. Die Gestalt des Wolfes schrumpfte zusammen, bis schließlich ein kleiner Frosch auf dem kargen Steppengras saß.
    Aber schon im selben Moment veränderte der Frosch seine Farbe, er wurde schwarz, pustete sich auf und wuchs in die Höhe, und mit einem Mal stand Ragn wieder in seiner ursprünglichen Gestalt vor ihnen, die Arme gen Himmel gereckt.
    Runa und Erdis waren beeindruckt. Es war schon bemerkenswert, wenn ein Schamane sich in eine andere Gestalt verwandeln konnte. Aber gleich drei? Es war offensichtlich, dass Ragn ein noch mächtigerer Schamane war, als sie bisher angenommen hatten.
    Ragn sah die jungen Frauen ernst an. Dann setzte er sich und forderte sie auf, sich zu ihm zu gesellen.
    Als sie in der morgendlichen Sonne im Gras saßen, geschah etwas Außergewöhnliches.
    »Gib mir deinen Talisman«, forderte er Runa auf.
    Sie sah ihn fest an. Dann holte sie, ohne zu zögern, den in Rentierleder eingewickelten Talisman aus ihrem Bündel hervor und reichte ihn Ragn.
    Der alte Mann wickelte das weiche Leder, auf das mit Ocker eine Bärentatze gemalt war, auseinander und betrachtete den Talisman.
    Dann bewegte er den Kopf, als würde er nicken. Es sah aus, als spräche er mit dem Talisman. Schließlich drückte er ihn mit beiden Händen an seine Stirn. Leise murmelte er einige Worte, die die Frauen nicht verstanden, dann gab er Runa den Talisman zurück.
    Nachdem Runa den Talisman wieder in ihr Bündel gesteckt hatte, forderte Ragn sie auf, sich neben ihn zu setzen. Runa gehorchte. Vorsichtig legte Ragn seine Hand auf ihr Herz, und wieder murmelte er einige Worte.
    Nachdem er lange geschwiegen hatte, sagte er zu Runa: »Meine Fähigkeiten, mein Wissen – sie gehören von nun an auch dir … solange sich der Talisman in deinem Besitz befindet. Du brauchst ihn nicht in der Hand zu halten, um seine Kräfte zu nutzen. Er ist in deinem Besitz, auch wenn ihr getrennt seid. Verstehst du, was ich dir sagen will?«
    Runa nickte ehrfurchtsvoll.
    »Nutze seine Kräfte mit Weisheit.«
    Dann stand Ragn auf und schritt der aufgehenden Sonne entgegen. Es war Zeit, die Reise fortzusetzen.
    Runa und Erdis griffen nach ihren Körben und folgten ihm mit leichten Schritten.
    Kurz darauf erschienen zwei Felssäulen neben Runa, begleitet von einem ungewöhnlichen Flimmern. Doch keiner der drei nahm die Säulen wahr.
    Einen winzigen Augenblick lang war es dann plötzlich nicht mehr Runa, die durch die urzeitliche Steppe ging – es war Myra. Dann war sie auch schon durch die Felssäulen hindurchgeschritten.

K APITEL 11

Warnung
    M yra spielte mit dem Rabenanhänger an ihrer feinen Silberkette, während sie sich neugierig umblickte. Sie befanden sich hoch über dem Meer auf einer steilen Klippe. Noch in der Nacht waren Chad und sie losgefahren, und sie hatten im Auto auf dem Parkplatz ausgeharrt, bis es endlich hell wurde.
    Im Licht der Dämmerung konnte Myra die Umgebung deutlich erkennen. Um den kleinen Parkplatz herum wuchsen hohe Zedern und Fichten, und ein Trampelpfad führte in Richtung Meer. Sie kurbelte das Fenster hinunter und ließ die frische Morgenluft herein. Der Geruch von Zedern und Meerwasser lag in der Luft, und das Kreischen der Möwen durchriss die Stille. Nebel stieg vom Meer zu ihnen herauf. Trotzdem spürte Myra, dass es ein sonniger Tag werden würde.
    Die kühle Luft ließ sie frösteln, und sie zog ihre Jacke enger um sich. Lächelnd beobachtete sie, wie kleine Streifenhörnchen über den Parkplatz und den kleinen Trampelpfad liefen und Eichhörnchen

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