Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
vollständige Text lautet: ›Milky Instant ist besser als Muttermilch!‹ Im Städtischen Kunstverein gibt es noch ein paar der alten Werbespots; die UNIVERSAL hat damals den Grand Prix für die beste Reklame des Jahres bekommen.«
»Beschaff sie. Sofort!«
»Was willst du denn damit, Tiny?«
»Ich weiß es nicht!« schrie Timothy. »Ich versuche nur, einen Strohhalm zu finden, an dem wir tausend unschuldige Kinder aus dem Sumpf unseres glorreichen Zeitalters ziehen können! Hast du noch was, Maud? Dann verabrede mit Anne, wie wir dich erreichen können. Ich gehe ins Bad und besaufe mich.«
»Soll ich dir nicht lieber Tee oder Kaffee machen«, fragte Anne besorgt.
»Du kannst dir den Kopf zerbrechen, wie wir Grandma dazu bringen, mich in den nächsten Tagen in Ruhe zu lassen.«
Timothy trank dann doch Mokka, aber er mischte ihn mit Whisky. Er hing vor leeren Wänden in der Wanne, grübelte mit geschlossenen Augen in absoluter Stille, ab und zu sprang er aus dem Wasser und stürzte ins Arbeitszimmer, nasse Tapsen markierten seinen Weg. Er war heilfroh, daß Napoleon noch nicht gedoppelt wurde. Wie sollte er es jemals zehn Tage ohne ihn aushalten? Vielleicht bildeten sie beide längst so etwas wie einen Kyborg? Anne fand Timothy nackt und naß vor dem Steuerpult. Und verzweifelt. Timothy riß ihr den Kristall aus der Hand, verschwand im Bad und schaltete auf Endlosprojektion.
Milky Instant war schön, strahlend, glücklich und strotzend vor Gesundheit, ebenso ihr Baby. Als ihm auch nach der siebenten Wiederholung noch keine Erleuchtung gekommen war, schickte Timothy ein grimmiges Gebet zu der Muttermilchmadonna. Irgendwann kam Anne herein, betrachtete erst Milky Instant, dann Timothy, zog die Stirn kraus, schluckte aber ihren Kommentar hinunter und sagte nur, sie habe das Problem Grandma gelöst.
»Du mußt nicht mehr in Fordsville einbrechen«, erklärte sie, »du brauchst dir nicht mal eine Ausrede einfallen zu lassen. Wir haben über einen Mittelsmann im NSA-Hauptquartier der FORD-Polizei einen streng vertraulichen Hinweis gegeben, daß der UNDERGROUND ein Attentat plant; die passen jetzt auf wie die Schießhunde.«
»Wenn Grandma das erfährt«, murrte Timothy, »wird sie auf der Stelle den ›Laurin‹ wiederhaben wollen, und ich habe –«
»Zeit«, unterbrach ihn Anne. »Sie wird nichts erfahren. Alle Kommunikationskanäle werden streng überwacht, niemand darf Fordsville verlassen, und ein Sonderkommando der NSA wartet darauf, die Agenten des UNDERGROUND zu kassieren. Zufrieden?«
»Sehr zufrieden. Hast du vielleicht auch noch eine Idee, wie man tausend Engel unbemerkt durch die Stadt bringt?«
»Ich weiß nicht einmal, wie man sie überreden könnte, mitzumachen.«
»Ach«, sagte Timothy, »ich glaube, dieses Problem habe ich gelöst.«
14.
Das Loch in der Mauer war da. Genau so, wie Timothy es bestellt hatte: Im oberen Teil, etwa vier Meter im Durchmesser, und es sah aus, als seien die Betonquader durch Materialermüdung herausgebrochen. Niemand würde sich darum kümmern; die Behörden hatten genug Sorgen mit dem morgigen Präsidentenbesuch, und übermorgen würde das PARIA ohnehin devastiert werden.
Timothy landete »Marilyn« auf einem Mauervorsprung gegenüber dem Loch. Der geschleifte Grenzstreifen und die anschließende Straße waren leer, die Häuser wirkten vernachlässigt, kaum bewohnt, trist und grau. Dafür leuchtete die Mauer in bunten Sprayfarben. Wie in den Nolands hatte auch hier die nackte, von keiner Reklame besetzte Wand Leute angeregt, sich zu verewigen, mit den üblichen und wohl schon Jahrhunderte alten Zoten und Zeichen, aber auch mit überraschenden Bildern; ein Stück weiter rechts, direkt neben dem offiziellen Schild: »PARIA! Hier wird ohne Warnung geschossen!« prangte ein knallgrüner Urwald mit kakelbunten Orchideen und Papageien. Irgendein Sam, der alle A als Anarchistenzeichen 57 schrieb, hatte in metergroßen Buchstaben Slogans auf die Mauer gesprüht, die Timothy schon auf dem Weg hierher aufgefallen waren: »PARIA my Patria!« – »Here begins real PARIAty!« – »Parias of all PARIAS unite!« 58
Dicht neben dem Sprengloch leuchtete blutrot:
No Past
No Future
No Mercy
No Hope
No Chance
Pledge: No! No! 59
Die Streife donnerte vorbei, sie nahm keine Notiz von dem Loch. Der eine Wachmann blickte nur kurz hin, warf dann einen Blick herüber, der Timothy erstarren ließ; er vergaß immer wieder, daß er ja unsichtbar war.
Timothy flog in das PARIA. Er
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