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Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Titel: Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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Smaragde glitzerten; urplötzlich wuchsen Strahlen, gleißten grün und rot, glühende Berge schossen aus dem Sand, messerscharfe Grate und Spitzen kamen bedrohlich nahe. Timothy stieg, die Berge verfolgten ihn. Er schlug verzweifelt mit Armen und Beinen, um ihnen zu entkommen, stieg immer höher, die Luft wurde dünner und dünner, er rang um Atem, Todesangst ergriff ihn, unsichtbare Klammern preßten seinen Brustkorb zusammen, und die funkelnden spitzen Felsen kamen immer näher, umzingelten ihn. Unvermittelt verwandelten sie sich zu dämonischen Fratzen mit Tausenden züngelnden Schlangen anstelle von Haaren. Glühende Augen. Riesenmünder. Wulstige Lippen öffneten sich, ihn zu verschlingen. Timothy schrie. Höllisches Lachen rollte aus den aufgerissenen Schlünden, packte ihn wie ein Tornado, wirbelte ihn umher. Er schrumpfte, wurde winzig unter diesem Gedröhn, ein Staubkorn. Gleich würde er in den Sand der Wüste fallen: unsichtbar, unauffindbar für alle Zeiten. Gierige Hände griffen nach ihm. Eine Riesin mit Katzenaugen. Sie schrie seinen Namen. So laut, daß er sich unter der Wucht der Schreie krümmte. Als sie zum dritten Mal »Tiny!« rief, erkannte er sie: Deborrah Johnson. Die Bachstelze würgte mit haarigen, schleimigen Spinnenfingern seinen Hals. Er wollte sie anflehen, um sein Leben betteln, eiserne Haken schlugen in seine Wangen, brachen seinen Mund auf, eine Whiskywolke hüllte ihn ein.
    »Kein Alkohol!« preßte er verzweifelt krächzend heraus, dann wurde er ohnmächtig.
    Als er zu sich kam, blickte er tatsächlich in das Gesicht der Bachstelze. Sie streckte die Hand aus und tätschelte seine Wange.
    »Was ist mit Ihnen, Tiny? Soll ich einen Arzt rufen?«
    »Danke, nein. Gönnen Sie mir nur einen Augenblick Ruhe. Einen Kaffee könnten Sie uns brühen, er steht –«
    »Ich weiß Bescheid.« Die Bachstelze ging hinaus.
    Timothy versuchte, sich zu erinnern. Was war geschehen? Die Zahlen der Uhr verschwammen ineinander. Er kniff die Lider fest zusammen, zählte bis zwanzig, riß die Augen auf, jetzt konnte er die nächste Umgebung scharf sehen. Er lag in seiner Wanne, nackt, sein Kopf war in der Halterung befestigt. Er versuchte, den linken Arm aus dem Wasser zu heben, dann den rechten; als er in der Armbeuge die rot umrandete Injektionsstelle erblickte, fiel es ihm ein: Meskalinum, der »Traum des Vergessens«, Anne –
    Die Bachstelze kam zurück, löste seinen Kopf, hob Timothy aus dem Wasser, trug ihn auf ihren Armen zur Massagebank, trocknete ihn ab, half Timothy in den Morgenmantel, hievte ihn in den Stuhl und fuhr ihn ins Wohnzimmer. Kaffeeduft schlug ihm entgegen. Er war zu schwach, die Bachstelze mußte die Tasse an seine Lippen halten.
    »Ich wußte mir keinen Rat, als Sie ins Wasser zu stecken«, sagte sie. »Ich mache mir ernsthaft Sorgen – wenn Sie keinen Whisky mehr wollen, Tiny! Ein Glück, daß ich auf die Idee kam, bei Ihnen einzudringen. Nehmen Sie neuerdings Rauschgift?«
    »Aber Debby!« Timothy schüttelte den Kopf. Es gelang ihm sogar, sich ein Lächeln abzuzwingen. »Nur eine Kreislaufschwäche. Der Arzt meint, in ein paar Tagen bin ich wieder fit.«
    »Das will ich hoffen. Ich brauche Sie. Ein Fall, der geradezu nach Ihnen schreit. Nicht nur, weil es sich um die UNITED CHEMICAL handelt –«
    Timothy hörte nicht zu. Was ging ihn das an. Was ging ihn überhaupt noch an. Anne ist tot, das war der einzige Gedanke, der ihn bewegte. Daß er so verdammt schwach war. Viel zu schwach, um die Bachstelze hinauszuwerfen. Endlich schwieg sie. Timothy blickte sie an, als habe er aufmerksam zugehört.
    »Ich werde darüber nachdenken«, sagte er. »Ich melde mich, sobald ich wieder voll da bin, okay?«
    »Einverstanden. Aber lassen Sie mich nicht zu lange warten.«
    Deborrah Johnson erhob sich. »Soll ich Sie wieder ins Bett bringen?«
    »Danke, das schaffe ich allein.«
    »Noch eins, Tiny – ich würde gerne Ihre Sonic kaufen.«
    »Schneewittchen?« Timothy blickte sie fassungslos an. »Ich erinnere mich, daß Sie die Sonic noch unlängst ›Quietschkrächzgeschrei‹ nannten.«
    »Ich biete Ihnen den doppelten Marktpreis.«
    »Schneewittchen ist nicht verkäuflich.«
    »Dreihundert Prozent.«
    »Für kein Geld der Welt.«
    »Versprechen Sie mir wenigstens, daß ich das Vorkaufsrecht habe, wenn Sie es sich anders überlegen?«
    »In die Hand. Was ist los?«
    »Ich will nur meine Kunstsammlung um einen Shopenhower bereichern; scheint ja so, als ob er doch zu den wenigen Großen

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