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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hinteren Teil des Gewölbes fest. Die Höhle war gigantisch, nicht sehr hoch, aber weitläufig, eine riesenhafte unterirdische Halle, so groß, daß sich der Blick weit vor ihrem gegenüberliegenden Ende im Ungewissen verlor. Aber sie schien, wenigstens soweit ich sehen konnte, keinen zweiten Ausgang zu haben. Wir hatten gar keine andere Wahl, als Ericksons Worten zu vertrauen, trotz allem, was geschehen war.
    Ich fror plötzlich. Aber es war eine Kälte, die aus mir selbst zu kommen schien.
    Schweigend brachen wir auf. Ich sah ein paarmal über die Schulter zurück, selbst, als Lasses Leichnam schon längst in den Schatten hinter uns verschwunden war, und das bittere Gefühl in mir wurde mit jeder Sekunde stärker. Es war so sinnlos gewesen.
    Aber vielleicht war es das auch nicht, und vielleicht war ich nur in eine Welt vorgedrungen, deren Regeln ich nicht begreifen konnte.

    Der Morgen dämmerte, als wir endlich die unterirdische Halle verließen. Der Himmel war noch schwarz, aber im Osten zeigte sich bereits ein blasser, grauer Streifen. Wir hatten fast eine Stunde gebraucht, um aus dem Höhlenlabyrinth herauszufinden, auf dem Weg, den Erickson uns genannt hatte: Nach einem kurzen Marsch durch die riesige unterirdische Halle waren wir an eine Stelle gekommen, wo ein Teil der Höhlen-wand eingestürzt war und ein vielleicht zehn mal fünf Yards großes Stück der Decke mitgerissen hatte, so daß eine steile Schutt- und Geröllhalde entstanden war, über die wir ans Tageslicht zurückkehren konnten. Aber der Aufstieg war mörderisch. Die Halde war nicht halb so kompakt, wie sie ausgesehen hatte; unter jedem unserer Schritte lösten sich Steine und kollerten zurück, und mehr als einmal trat einer der Männer eine krachende Lawine los, die donnernd in der grünlichen Dämmerung der Katakomben verschwand. Einer von Setchatuatuans Olmeken wurde mitgerissen und so schwer verletzt, daß wir ihn zurücklassen mußten, und auch von den anderen, mich eingeschlossen, kam keiner ohne mehr oder weniger zahlreiche Schrammen und Prellungen und blaue Flecken davon. Wir alle waren zum Umfallen erschöpft, als wir endlich wieder ins Freie traten, genauer gesagt: krochen.
    Und trotzdem vergaß ich meine Erschöpfung und die zahllosen kleinen und großen Schmerzen, die meinen Körper peinigten, kaum daß ich um mich sah.
    Der Anblick war überwältigend: fantastisch und schrecklich, bedrückend und majestätisch zugleich, und doch nichts von alledem. Es war unmöglich, diese Stadt zu beschreiben.
    Man hätte neue Worte und vor allem neue Superlative erfinden müssen, um auszudrücken, was ich im allerersten Moment fühlte.
    Minutenlang hockte ich einfach schweratmend da und starrte wie gebannt die zyklopischen schwarzen Mauern an, die direkt vor uns in die Höhe wuchsen, und den anderen erging es nicht anders.
    Es war Aztlan. Das Loch im Boden, aus dem wir herausge-krochen waren, lag unmittelbar am Fuße der titanischen Wehrmauer, die diese Stadt des Wahnsinns umschloß. Ihre Mauern bestanden aus einem schwarzen Material, das Stein oder Lava sein konnte, aber auch etwas anderes, und mußte weit über hundert Fuß messen; vielleicht waren sie aber auch drei- oder vier- oder auch zehnmal so hoch. Es war unmöglich, sie auch nur über längere Zeit hinweg zu betrachten; es war, als glitte der Blick haltlos von den gigantischen schwarzen Flanken dieser Irrsinnsstadt ab; fast, als wehre sie sich dagegen, betrachtet zu werden. Der Odem des Fremden, Feindseligen war hier so stark, daß er mir fast den Atem nahm. Aztlan war eine Stadt der Großen Alten. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Ebensowenig, wie es jetzt noch einen Zweifel daran gab, welche Art von Wesen diese Stadt beherrschte …
    Ich schauderte. Plötzlich hatte ich Angst, panische, entsetzliche Angst, wie selten zuvor in meinem Leben. Es war nicht die Furcht vor irgend etwas, keine konkrete Angst vor einer Bedrohung oder Gefahr, sondern die pure Ausstrahlung Aztlans, die meine Seele wie ein höllischer Eishauch streifte und zum Erstarren brachte.
    Neben mir stöhnte Setchatuatuan leise. Seine Augen waren so groß, als wollten sie jeden Moment aus den Höhlen quellen. Ich wußte, daß er dasselbe empfand wie ich; vielleicht war sein Entsetzen sogar noch stärker, denn für ihn war es das erstemal, daß er mit der grauenhaften Welt der Großen Alten konfrontiert wurde.
    Langsam stand ich auf, trat ein Stück vom Rand der einge-brochenen Höhlendecke weg und sah mich um. Wir waren

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