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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zuckte es. »Und was sollen wir tun?« keuchte er. »In aller Ruhe abwarten, bis wir hier unten wie die Ratten verreckt sind?«
    »Sagtest du nicht, daß du keine Angst vor dem Tod hast?«
    fragte Setchatuatuan leise.
    Lasses Kopf ruckte herum. »Ich habe keine Angst, in einem ehrenhaften Kampf zu sterben, Setchatuatuan!« zischte er.
    »Aber ich will hier nicht verhungern. Ich …«
    »Still!« Ich hob die Hand, schüttelte zusätzlich den Kopf und lauschte.
    »Was hast du?« fragte Lasse. »Ich höre nichts.«
    »Aber ich«, murmelte Setchatuatuan. Er stand ebenfalls auf, verharrte einen Moment reglos mit schräggehaltenem Kopf und deutete dann auf die Wand hinter dem Wikinger.

    Nach und nach hörten es auch die anderen. Aus dem massiven Fels drang ein leises Rascheln, ein Schaben und Huschen wie von Millionen winzigen Füßchen. Das Geräusch wurde lauter, steigerte sich zu einem dumpfen, mahlenden Knirschen, und dann erschien ein haarfeiner, gezackter waagrechter Riß in der glatten Wand. Lasse wich mit einem überraschten Aufschrei zurück. Auch die anderen Männer sprangen auf die Füße und bildeten einen weiten Halbkreis um die Mauer.
    Die Öffnung, die hier vor uns entstand, war anders als die Durchgänge, die wir bisher passiert hatten. Die Wand spaltete sich, aber sie tat es langsam und ruckartig, ganz so, als wäre da noch eine andere Kraft, die sie mit aller Gewalt daran hindern wollte, sich zu öffnen.
    Der Spalt war jetzt so breit wie meine Hand. Auf der anderen Seite schimmerte Licht, der gleiche, geisterhafte grüne Schein wie hier, aber auch flackerndes rotes Fackellicht, das von weither zu kommen schien.
    »Das gefällt mir nicht«, sagte Lasse. Seine Stimme schwankte, und ich glaubte einen deutlichen Unterton von Furcht darin zu hören. Aber ich schwieg und konzentrierte mich weiter auf die Wand.
    Die Öffnung wuchs, langsam, aber beständig. Nach wenigen Minuten schon hatte sich ein gut zwei Yards breiter, gezackter Riß gebildet. Seine Kanten glitzerten wie rasiermesserscharfe Zähne, und für einen winzigen Moment hatte ich das Gefühl, keine Wand, sondern das Maul eines gewaltigen steinernen Ungeheuers zu sehen.
    Ich trat an Lasse und Setchatuatuan vorbei und ging in die Hocke, um einen Blick durch den Riß werfen zu können.
    Die unheimliche unterirdische Welt der Großen Alten setzte sich auf der anderen Seite der Mauer fort, wenn auch seltsam verändert: Die Luft roch nach Moder und Verfall, und der Boden war mit Trümmern und Unrat übersät; Staub hing in grauen, trägen Schleiern in der Luft, und von weither drangen dumpfe, nicht zu identifizierende Geräusche zu uns herein.
    »Sei vorsichtig«, murmelte Lasse.
    Ich nickte, streckte behutsam die Hände aus und berührte den Rand des Risses. Die Wand fühlte sich seltsam an,
    nicht wie Stein, sondern eher wie Horn oder Knochen, und ich glaubte ein sanftes, schwerfälliges Vibrieren zu spüren.
    Fast wie Pulsschlag, dachte ich erschrocken.
    Ich tauschte einen nachdenklichen Blick mit Lasse, richtete mich auf, und zog mich rasch entschlossen durch den Spalt.
    »Robert! Vorsicht!«
    Lasses Warnschrei wäre um ein Haar zu spät gekommen.
    Ich spürte die Bewegung mehr, als ich sie sah: ein rasches, gieriges Zucken, das durch die schwarze Wand fuhr, begleitet von einem stöhnenden Laut. Mit einer verzweifelten Bewegung warf ich mich nach vorn, zog die Knie an den Körper und schlug auf der anderen Seite auf.
    Keinen Sekundenbruchteil zu früh!
    Hinter mir schnappte der Felsspalt wie ein gewaltiges steinernes Maul zu. Ich schrie vor Schrecken und Überraschung auf, sprang auf die Füße und wich instinktiv zwei, drei Schritte von der lebenden Wand zurück. Der Fels bebte. Eine rasche, wellenförmige Bewegung lief durch das schwarze Material, dann ertönte wieder dieses leise, knisternde Schaben, und erneut entstand ein haarfeiner Riß in der Wand.
    So wie beim erstenmal dauerte es Minuten, bis sich der Spalt so weit verbreitert hatte, daß ich einen Blick hindurch werfen konnte.
    Lasse, Setchatuatuan und die Olmekenkrieger waren so weit von der Wand zurückgewichen, wie es der beengte Raum drüben zuließ. Trotz der schlechten Beleuchtung konnte ich sehen, daß der hünenhafte Wikinger blaß vor Schrecken geworden war.
    »Bei allen Göttern!« keuchte er. »Was war das?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Aber ihr müßt vorsichtig sein. Geht einzeln hindurch. Und beeilt euch.«
    Der Wikinger zuckte sichtlich zusammen. »Das ist nicht

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