Der Sand der Zeit
leise.
»Und ich war dabei, als er starb. Dich habe ich nicht gesehen.
Also sprich jetzt die Wahrheit, wer bist du und was willst du von uns? Wenn Leif Erickson dich zum Spionieren geschickt hat, dann …«
»Aber ich bin auf deiner Seite, Lasse«, sagte ich verzweifelt. »Du mußt mir glauben. Ich habe ein ebenso großes Interesse wie du daran, Leif Erickson unschädlich zu machen.
Ich kann es dir erklären, aber ich … ich brauche Zeit!« Meine Gedanken überschlugen sich. Ich spürte, daß Lasse mir kein Wort glaubte, aber ich wußte auch, daß ich ihm unmöglich erzählen konnte, daß ich aus einer Zeit stamme, die tausend Jahre oder mehr in der Zukunft lag, und daß es dennoch Hellmark selbst gewesen war, der mich hierher geschickt hatte.
»Zeit?« schnappte Lasse. Plötzlich lachte er, aber jetzt klang es hart und drohend. »Zeit sollst du haben. Es ist ein weiter Weg zu den Höhlen von Tucan, und du wirst Zeit genug haben, dir eine Erklärung auszudenken, bis wir sie erreichen.« Er packte mich grob, verdrehte meinen Arm und stieß mich wuchtig vor sich her.
»Ich hoffe für dich, daß es eine gute Erklärung ist, die du dir einfallen läßt«, knurrte der hünenhafte Wikinger finster.
»Denn wenn nicht, übergebe ich dich meinen Männern, und danach wirst du dich auf den Altar zurücksehnen, von dem wir dich gerade heruntergeholt haben, mein Wort darauf.«
Der Weg zu den Höhlen von Tucan war weit und sehr anstrengend. Aber es gibt über die nächsten zwei Tage und drei Nächte wenig Interessantes zu berichten, denn so fantastisch, wie meine Bekanntschaft mit Lasse Rotbart und seinen Olmeken begonnen hatte, mit nichts anderem schließlich als einem Sprung in eine tausend Jahre zurück-liegende Vergangenheit,, so eintönig ging es weiter.
Die Indios und die Handvoll Nordmänner, die sich ihnen angeschlossen hatten, marschierten beinahe ununterbrochen, selbst nach Dunkelwerden noch. Während des ersten Tages war alles für mich so verwirrend und neu, daß ich mich an den Wundern dieser unberührten Welt kaum satt sehen konnte. Aber meine Euphorie sank schon bald auf das Niveau einer milden Begeisterung zurück, denn es war nicht nur eine Welt, die bar jeder Beeinträchtigung durch den Menschen war, sondern auch eine Welt, in der man ohne alle Segnungen der technischen Zivilisation auskommen mußte; eine Welt ohne Straßen und Brücken, dafür mit schier unpassierbaren Dschungeln, durch die wir uns erst einen Weg freihacken mußten, und reißenden Flüssen, die wir durchquerten, indem wir uns gegenseitig an den Händen ergriffen und zu unseren jeweiligen Göttern beteten, um nicht davongeschwemmt zu werden. Eine Welt ohne Hotels und McDonalds-Niederlassungen, dafür aber voller blutgieriger Insekten und Raubtiere.
Als wir das erstemal rasteten, für nicht einmal ganz drei Stunden!,, war mein Bedarf an Natur eigentlich schon gedeckt. Am zweiten Abend begann ich den Dschungel zu hassen, und als die Sonne das drittemal aufging, die Farbe Grün. Ich begann mich in mein hübsches, zubetoniertes London zurückzusehnen.
Aber ich lernte auch eine Menge in diesen drei Tagen; zum Beispiel über die Leistungsfähigkeit eines menschlichen Körpers und seine Grenzen, insbesondere meines eigenen.
Ich hatte vorgehabt, das Gespräch mit Lasse rasch hinter mich zu bringen, aber das erwies sich als unmöglich, nicht einmal so sehr, weil Lasse nicht mit mir reden wollte, sondern weil sich einfach keine Gelegenheit dazu bot. Ich begriff schon bald, daß der Marsch durch den Dschungel unsere gesamten Kräfte und volle Aufmerksamkeit beanspruchte. So schön dieses Land war, so erbarmungslos war es, eine Sekunde der Unaufmerksamkeit konnte hier durchaus den Tod bedeuten. Dazu kamen die Olmeken. Ich wurde nicht schlecht behandelt, man gab mir Kleidung und Sandalen, und wenn die Männer rasteten und aßen, bekam ich meinen Anteil,, aber Setchatuatuan machte keinen Hehl aus seiner Abneigung und daraus, daß ich ein Gefangener war und mich dement-sprechend zu verhalten hatte. Einer der Indios war immer in meiner Nähe, und ich fand zweieinhalb Tage lang keine Gelegenheit, auch nur ein Wort mit dem Wikinger zu wechseln. Lasse Rotbart lag wohl auch nicht sehr viel daran.
Er wich mir aus, und die wenigen Male, die ich ihn dabei ertappte, wie er mich insgeheim beobachtete, sah ich ein immer stärker werdendes Mißtrauen in seinen Augen.
Die Entscheidung fiel am Nachmittag des dritten Tages und auf eine Art und Weise, mit der
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