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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Trotz oder Feindschaft geschah, sondern nur aus Schrecken. Der unglaubliche Anblick mußte die Krieger im wahrsten Sinne des Wortes gelähmt haben.
    Schritt für Schritt näherte ich mich Lasse Rotbart und Setchatuatuan. Mein Herz jagte, und ich konnte die Blicke, die die Indios mir nachschickten, fast wie schmerzhafte Messerstiche im Rücken spüren. Ein einziger Fehler, ein falsches Wort oder eine unbedachte Bewegung, und wir alle waren verloren.
    Aber ich erreichte die Rebellen, ohne behelligt zu werden.
    Die Olmeken, die einen dichten Kreis um Setchatuatuan und seine Krieger gebildet hatten, wichen hastig weiter zurück, und auch die letzten legten jetzt die Waffen aus der Hand. Ich ging weiter, bis ich unmittelbar vor Setchatuatuan und dem hünenhaften Wikinger stand, drehte mich um und hob in einer theatralischen Geste die Arme.
    »Diese Männer stehen unter meinem Schutz!« rief ich mit erhobener Stimme. »Wer die Hand gegen sie erhebt, der erhebt sie gegen mich!«
    Die Raubkatze fauchte, wie um meine Worte zu bekräftigen, und stärker als der Klang meiner Stimme scheuchte dieser Laut auch die letzten Krieger zurück. Ich spürte, daß jetzt keiner von ihnen mehr den Mut haben würde, mich oder die anderen anzugreifen.
    »Du spielst ein riskantes Spiel«, flüsterte Lasse an meinem Ohr.
    »Ich habe nichts zu verlieren«, antwortete ich ebenso leise.
    »Wo ist Erickson?« Lasse kam nicht dazu, zu antworten. Auf dem Hügel erschien eine Gestalt, und wieder erklang ein vielstimmiger, erschrockener Aufschrei aus den Reihen der Olmeken. Ich selbst, Lasse und Setchatuatuan fuhren in einer einzigen, abrupten Bewegung herum.
    Der Mann war ein Riese. Hoch aufgerichtet und in einen schimmernden Panzer aus unzähligen goldenen Schuppen gehüllt, stand er auf der Kuppe des Felsenhügels und starrte aus haßerfüllten Augen zu uns herab. In der rechten Hand trug er ein gewaltiges Schwert, sein linker Arm und die Schulter verbargen sich hinter einem mächtigen Rundschild. Auf seinem Schädel thronte ein ungeheuerlicher Helm. Ich mußte nicht fragen, um zu wissen, wem wir gegenüberstanden.
    »Leif Erickson!« keuchte Lasse. Seine Stimme bebte vor Haß. »Dieser Verräter ist selbst gekommen.« Er hob sein Schwert, stieß einen Krieger, der ihm im Weg stand, grob beiseite und lief ein paar Schritte den Hang hinauf, ehe er wieder stehenblieb.
    »Komm herunter, du feiger Hund!« brüllte er mit vollem Stimmaufwand. »Stell dich zum Kampf, wenn du es wagst!«
    Leif Erickson ignorierte seine Worte. »Tötet sie!« rief er.
    »Dieser Mann ist kein Gott! Er ist ein Betrüger! Vernichtet sie!
    Ich befehle es!«

    Ich sah aus den Augenwinkeln, wie sich die Krieger unruhig bewegten. Ein paar Hände streckten sich nach ihren Waffen aus, aber keiner führte die Bewegung zu Ende. Auf ihren Gesichtern war deutlich zu lesen, welch inneren Kampf die Männer durchstehen mußten.
    Auch Leif Erickson deutete das Zögern der Olmeken richtig.
    Seine Stimme klang nicht mehr ganz so ruhig und befehlsge-wohnt wie beim erstenmal, als er sich erneut an seine Soldaten wandte.
    »Verräter!« brüllte er. »Ich befehle euch, die Rebellen zu töten. Dieser Mann ist kein Gott! Gehorcht!«
    Einer der Krieger hob seine Waffe und machte einen zaghaf-ten Schritt auf Lasse Rotbart zu. Der Wikinger schwenkte kampflustig sein Schwert.
    Aber er brauchte nicht zuzuschlagen. Ein dünner, gefiederter Pfeil zischte knapp an seiner Schulter vorbei und durchbohrte den Olmeken. Der Krieger taumelte zurück, ließ seine Axt fallen und brach tödlich getroffen in die Knie.
    Ich sah überrascht auf. Es war einer von Ericksons eigenen Kriegern gewesen, der den Angreifer niedergeschossen hatte!
    Meine gewagte Rechnung war aufgegangen, die Olmeken hielten mich für einen Gott, oder wenigstens für einen Boten der Götter. Die Anwesenheit der gewaltigen schwarzen Raubkatze hatte uns das Leben gerettet!
    Leif Erickson begann zu toben. »Verräter!« kreischte er.
    »Quetzalcoatl wird euch dafür strafen, alle! Ihr sollt gehorchen!
    Packt sie!«
    Niemand hob auch nur eine Hand, um seinem Befehl zu gehorchen.
    »Da, wo ich herkomme, nennt man diese Situation ein klassi-sches Patt«, sagte ich mit einem flüchtigen Lächeln. »Er kann uns nichts tun und wir ihm nichts.« Lasse runzelte finster die Stirn. »Da wäre ich mir nicht ganz so sicher, Robert aus Britannien«, knurrte er. »Wenn du das hier ein Patt nennst, dann verrate mir, was du unter einer aussichtslosen Situation

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