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Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Sandmann: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
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als wäre sie eine Leistungsturnerin oder eine Ballerina. Er sieht das dünne, eng sitzende Hemd, das von Schweiß dunkel verfärbt ist, die Rundung der perfekten Schultern, die Brustwarzen unter dem Stoff.
    Er versucht, sich zu erinnern, ob er in den Aufzeichnungen von Karsudden etwas über Schlafstörungen gelesen hat. Dann fällt ihm ein, dass das letztlich keine Rolle spielt. Hier bestimmt er die Medikation.
    »Warten Sie«, sagt er und geht eine Tablette holen.
    Als er zurückkommt, schwitzt er zwischen den Schulterblättern ein wenig. Er zeigt ihr den Plastikbecher, und sie streckt die Hand durch die Luke, um ihn anzunehmen, aber er kann es sich nicht verkneifen, mit ihr zu scherzen:
    »Schenken Sie mir ein Lächeln?«
    »Geben Sie mir bitte die Tablette«, sagt sie nur.
    Er hält den Plastikbecher außerhalb der Reichweite ihrer ausgestreckten Hand.
    »Ein kleines Lächeln«, sagt er und kitzelt ihren Handteller.

137
    Saga lächelt den Arzt an und erwidert seinen Blick, bis er ihr den Plastikbecher gibt. Er schließt und verriegelt die Luke, bleibt aber vor der Tür stehen. Sie geht ein paar Schritte, tut so, als steckte sie sich die Tablette in den Mund, füllt ihre hohle Hand mit Wasser und schluckt mit zurückgeworfenem Kopf. Sie schaut nicht in seine Richtung, weiß nicht, ob er noch da ist, setzt sich stattdessen für einen Moment aufs Bett und schaltet das Licht aus. Im Schutz der Dunkelheit versteckt sie die Tablette rasch unter der Innensohle ihres Schuhs und legt sich hin.
    Bevor sie einschläft, sieht sie Bernie Larssons Gesicht erneut vor sich und wie ihm die Tränen in die Augen traten, als er sich selbst die Schlinge um den Hals legte, seine lautlosen, kämpfenden Bewegungen, die leisen Schläge seiner Fersen gegen die Tür.
    Schließlich fällt Saga jedoch jäh in einen tiefen, heilenden Schlaf.
    Aber irgendwann wird das Stundenglas umgedreht, und sie steigt wie warme Luft zum Erwachen hoch und öffnet in der Dunkelheit die Augen. Sie weiß nicht, was sie geweckt hat. Im Traum waren es Bernie Larssons hilflos strampelnde Füße.
    Vielleicht ein fernes Klirren, denkt sie, aber das Einzige, was sie hört, ist ihr eigener Puls in den Gehörgängen.
    Sie blinzelt und lauscht.
    Das Panzerglas der Tür taucht allmählich wie ein Quadrat aus gefrorenem Meerwasser auf.
    Sie schließt die Augen und versucht, wieder einzuschlafen. Ihre Augen brennen vor Müdigkeit, aber sie kann sich nicht entspannen. Irgendetwas veranlasst sie, ihre Sinne zu schärfen.
    Es knackt in den Metallwänden, und sie öffnet erneut die Augen und starrt das graue Fenster an.
    Plötzlich zeichnet sich auf der Scheibe ein schwarzer Schatten ab.
    Augenblicklich ist sie hellwach.
    Durch das Panzerglas schaut ein Mann zu ihr hinein. Es ist der junge Arzt. Hat er etwa die ganze Zeit dort gestanden?
    In dieser Dunkelheit kann er nichts sehen.
    Trotzdem steht er mitten in der Nacht vor ihrer Tür.
    Es rauscht leise.
    Sein Kopf wackelt ein wenig.
    Auf einmal weiß Saga, dass das klirrende Geräusch, von dem sie geweckt wurde, der Schlüssel war, der ins Schloss glitt.
    Luft weht pfeifend herein, und der Ton schwillt an, wird leiser und verstummt.
    Die schwere Tür geht auf, und sie weiß, dass sie ganz still liegen bleiben muss, da sie nach der Einnahme ihrer Tablette eigentlich tief schlafen müsste. Die Nachtbeleuchtung aus dem Flur umschließt Kopf und Schultern des jungen Arztes wie glitzernder Puder. Vielleicht hat er ja doch gesehen, dass sie nur so getan hat, als nähme sie die Schlaftablette, und kommt nun herein, um sie aus ihrem Schuh herauszuholen. Aber das Personal darf die Räume der Patienten grundsätzlich nicht alleine betreten, denkt sie.
    Dann wird ihr klar, dass der Arzt zu ihr hereinkommt, weil er glaubt, dass sie die Tablette genommen hat und fest schläft.

138
    Das ist Wahnsinn , denkt Anders Rönn und schließt die Tür hinter sich. Mitten in der Nacht ist er zu einer Patientin hineingegangen und steht nun in ihrem dunklen Zimmer. Sein Herz pocht so, dass es schmerzt.
    Er erahnt ihre Gestalt im Bett.
    Sie wird mehrere Stunden tief und fest, fast wie bewusstlos schlafen.
    Die Tür zum Übernachtungszimmer, in dem My schläft, war geschlossen. Zwei Wärter halten sich an der äußersten Sicherheitstür auf. Alle anderen schlafen.
    Er weiß selbst nicht, was er bei Saga tut, er kann nicht vorausdenken, fühlt nur, dass er hineingehen und sie wieder ansehen muss, er muss einen Grund dafür finden, ihre warme Haut unter

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