Der Sandner und die Ringgeister
ihr Kollege.«
»Also um die eins siebzig?«
»Ja, klein halt, und nicht so beieinander, nicht trainiert.«
»Eher schmächtig?«
»Ja, schmächtig, mit einem schwarzen Kapuzenteil.«
»Ein Sweatshirt mit Kapuze? Stand irgendwas drauf, ein Logo?«
»Hab ich nicht gesehen. Aber die Schuhe, so Sneakers halt, waren Nike. Air Max, aber kann mich auch täuschen.«
»Was hat er gemacht, als der Dennis Weiß wegging? Ist er wieder rein oder auch weggegangen?«
»Das weiß ich nicht. Ich bin rein, da stand er noch draußen.«
»Allein?«
»Glaub schon – ja.«
»Haben Sie ihn später noch mal gesehen?«
»Nö, ich meine da war ne Menge Volk, und er hätte da sein können oder auch nicht, keine Ahnung.«
»Wie spät war es?«
»Zehn Minuten vor zwölf.«
»Wieso wissen Sie das so genau?«
»Weil ich auf die Uhr geschaut habe, als ich rein bin.«
»Danke erst mal, Sie haben uns sehr geholfen.«
»Äh, gibt’s eigentlich eine Belohnung oder so was, ich meine, wenn der Typ den Dennis Weiß fertiggemacht hat ... und Sie erwischen ihn wegen meiner Beschreibung.«
»Das Bundesverdienstkreuz am Bande.«
»Echt, wieso ein Kreuz?«
»Mit dem Kollegen hat er den Herrn Bischoff gemeint«, erläutert der Hartinger und schaltet das Gerät ab.
»Ich bin eins fünfundsiebzig.«
»Ich hab bloß geschätzt«, mault der Kommissar, »klein halt.«
»Mittelgroß.«
»Soll ich raten«, beendet der Sandner das kollegiale Intermezzo. »Mein Tipp fürs zweite Rennen, Sobotnik auf Sieg.«
»Woher wissen Sie das? Genauso schaut er nämlich aus, der Bursch, hat die Sandra bestätigt.«
»Wir beide haben ihn noch nicht sehen dürfen. Der Sobotnik ist unser Weihnachtspackerl«, ergänzt der Kare.
»Du weißt schon, Hartinger, dass im Vernehmungsprotokoll das Bundesverdienstkreuz mit drin stehen wird?«
»Is mir so rausgerutscht.«
»War ja kein Schlechter.« Der Sandner grimassiert vorsichtig. »Und jetzt fragt’s das neue Bandmitglied von ›Nachtgoul‹, warum er gar so ausgekeilt hat, Samstagnacht.«
Es schadet nichts, wenn du dein Wagerl von Zeit zu Zeit abbremst oder sogar auf den Rastplatz fährst, nicht weil die Blase druckt, sondern weil dich das ewige Rasen auf der Überholspur vom Wesentlichen wegbringt, bis du dich selber nicht mehr auskennst mit dir. Therapeutisch ausgefuchstes Fachpersonal tät den Sandner vielleicht fragen: »Wie haben Sie das geschafft, in all dem Stress, zurückzufinden zur Ruhe und sich eine Auszeit zu gönnen?«
Antwort: »Ich hab mich sedieren und ordentlich in die Eier treten lassen.«
»Da haben Sie sehr genau hingespürt, das ist gut, irgendetwas in Ihnen hat dafür gesorgt, dass Sie dem Stress und der Geschwindigkeit absagen können. Horchen Sie auf diese Stimme. Da haben Sie eine Fähigkeit, die nicht jeder mitbringt.«
Kraft dieser Fähigkeit kann der Sandner jetzt entschleunigt und breitbeinig die Stufen bis zu seiner Wohnung hinaufstaksen.
Der Rilke hätte möglicherweise dazu bemerkt, dass Bruder Körper einen schlechten Tag hat.
Auf Sandners Fußabstreifer liegt eine Packung Pralinees. Das scheint sich im Haus zur Gewohnheit zu entwickeln, den Leuten Futter vor die Wohnungstür zu schmeißen. Hauseigener Nikolaus mitten im Herbst.
Mühsam bückt sich der Sandner und klaubt die Schachtel auf. Misstrauisch starrt er sie an. Weinbrand, das Zellophan ist unversehrt, sogar der Preis pappt noch dran. Fünf neunundneunzig. Von fremden Leuten sollst du nichts annehmen. Gebranntes Kind. Mutmaßlich wollte sich da wer entschuldigen, dass er dem Polizisten ein psychedelisches Erlebnis beschert hat – oder zu Ende bringen, was er angefangen hat.
Drinnen wirft er das Präsent gleich in den Mülleimer. Nein, so einfach geht das nicht. Der Zug ist am Rollen, da hilft es nichts, Süßkram auf die Schienen zu pappen.
Der Sandner legt sich auf die Couch und schließt die Augen. Vom Hof her hört er ein Baby plärren und Vögel zwitschern. Zehn Minuten liegt er einfach nur da, dann reißt es ihn wieder hoch. Er nimmt seine Aspirin-plus-Kaffee-Ration, dann schaut er sich im Badspiegel seinen weißen Turban an und zupft mit den Fingern ein wenig daran herum. Ins Bett solle er sich gefälligst legen, hat ihm der Aschenbrenner noch mitgegeben auf den Weg, und mit dem Polizeirat hat er ausgehandelt, entweder morgen zum Dienst zu erscheinen – oder Krankenhaus. Morgen würde er an seinem Schreibtisch sitzen, selbst wenn er seinen Kopf unter dem Arm hereintragen müsste, an seinen Männern
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