Der Sandner und die Ringgeister
hat er mitgockeln müssen, sandnerscher Reflex, dem Wenzel den Kamm zwirbeln. Ein Brezensalzer war der Staatsanwalt für ihn jeher.
Und die Corina? Bös sein mochte er ihr nicht, nach sechzehn Jahren Sandner hat sie sich halt ein divergierendes Modell angeschafft, um wieder zu Puste zu kommen. Was sie am Wenzel findet, ist Teil ihres unergründlichen und überraschenden Wesens. Da hat er noch nie reinschauen können, in die Frau, wie in eine Glasvitrine. Das ist ihm nicht gegeben.
Eine leise Wehmut beschleicht den Sandner. Nicht dass er die letzten drei Jahre im Zölibat verbracht hätte, da hat er durchaus die eine oder andere im Sinn, die gern über die Nacht bleibt. Aber in seinem Zustand heut, da hätte schon wer da sein können, der sich ein bisserl sorgt und grämt und ihm einen Kamillentee brühen will, außer einem Leichenbeschauer. Er spült den letzten Bissen vom Brot mit einem Schluck Espresso hinunter. Nach dem Beziehungs-Schmu hat sein Hirn ermittlungstechnisch aufspielen wollen und webt verbindende Fäden.
Die Schuhe zieht er sich an, und schon ist er draußen im Hausgang. Was ihm die Frau Lehnharter über ihren Göttergatten zu erzählen weiß, nach all den Jahren, darauf ist er neugierig. Polizistennahrung. Die sind noch ein Paar, im Guten wie im Schlechten. Wobei er sich für das Gute nur am Rande interessieren täte – Berufskrankheit.
Im zweiten Stock wohnt außerdem der Lechner. Den wird er sich später vorknöpfen. Weil es interessant ist, dass der ihm vor Jahren von der schnellen ICE-Verbindung nach Nürnberg vorgeschwärmt hat. Mit Weltrekord wären sie die Strecke hinuntergejodelt, ohne Patzer und Rehfrikassee, weil Betonbett. Dreihundertsiebenundfünfzig Stundenkilometer! Dass er jetzt ganz gschwind zu seinem Bruder käme, da hat der Lechner gestrahlt über beide Backen, besonders der Physiklehrer in ihm, wegen der orgastischen Technologie.
In Hersbruck hat sein Bruder einen Biohof.
Da würde so ein Gockel beinahe mit Überschall befördert. Zweite Klasse in der Jutetüte. Sein letztes Krähen kaum verklungen, läge er bereits auf einem Münchner Fußabtreter. Alles im Konjunktiv. Der Sandner rätselt, was der Lechner mit dem Lehnharter zu schaffen haben sollte. Und eine Verbindung hätte er gern gebastelt, bevor er dem alten Lehrer umsonst an den Kragen ginge. Und wenn der Lechner schuldig ist, hat er ihm auch ins Bier gebieselt?
Während er beim Hauswart schellt, schüttelt der Ermittler entschieden den Kopf. Das bereut er augenblicklich.
»Zefix noch amal«, stöhnt er schmerzgepeinigt, als die Frau ihm grad die Tür aufmacht.
»Herr Sandner!« Da hat er sie verschreckt, die Spitzmaus. »Was ist? Um Gottes willen, wie schauens denn aus?«
Keine Antwort liegt parat.
»Ist Ihr Mann daheim?«, fragt er.
»Nein – ist was passiert?«
»Na, nix ist passiert – ich wollt mich nur ein wenig mit Ihnen unterhalten.«
Blass schaut sie aus, und die Hose schlackert um ihre Beine, höchstens neunzig Pfund mit spitzem Gesicht und tiefen Schatten unter den Augen – eine kleine Vampirette.
»Ich weiß doch nix. Kommen Sie wegen dem Viech vor unserer Tür? Der Franz ist bestimmt beim Friedel, ich kann kurz durchläuten ...«
»Friedel?«
»Ja, der Fischer Friedrich, sein bester Spezl. Die werden bei ihm in der Perlacherstraße sein, der könnt gleich ...«
»Des passt scho. Wenn’s Ihnen recht ist, reden wir a bisserl. Aber vielleicht ned im Hausgang.«
Unschlüssig steht sie in der Tür. »Ich müsst eigentlich ...«
»Es dauert ned lang, Frau Lehnharter.«
Sie macht zögernd die Tür frei und geht voran durch den Flur. Licht macht sie keines. Ein wuchtiger Flurschrank sorgt für klaustrophobische Enge, düster, als käme er in eine Höhle. Der Sandner hat ein kurzzeitiges Keller-Flashback. Er folgt der Frau in die Stube.
»Soll ich nicht doch beim Friedel ...?«, fragt sie, dann setzen sie sich am Esstisch nieder. Ganz am Rand vom Stuhl kauert sie, als müsst sie allzeit bereit sein aufzuspringen, als könnt sie jederzeit wer im Genick packen und beuteln.
»Soll ich gschwind einen Kaffee machen?«
Der Sandner winkt ab. Neun Jahre wohnt er in der Lohstraße, zum ersten Mal ist er bei einem Nachbarn in der Wohnung.
Die Holzdecke drückt herunter. Die Stube duckt sich unter ihr zusammen. Möbel aus den Achtzigern, dunkles Holzfurnier dominiert. Überall steht Gelump herum, als hätten die Lehnharters eine Sammelstelle für schaurige Weihnachtspräsente. Porzellanengel,
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