Der sanfte Kuss des Todes
muss wissen, wo sie hinfahren.«
»Verdammt noch mal!« Seine Stimme kletterte um eine
Oktave höher. »Hast du den Verstand verloren? Der Kerl ist höchstgefährlich! Scheiße. Carlos, was ist das da für eine Kreuzung? Fiona, wir sind gleich da. Bleib bitte einfach stehen. Wenn du uns helfen willst, ruf Santos an. Gib ihm alle Informationen durch, die du mir gerade gegeben hast.«
Sie versuchte, die Straße zu erkennen, aber sie befand sich hier mitten auf dem Land, und es war stockfinster, weil der Mond noch nicht aufgegangen war. Wenn sie in einem Fluss oder an einem Baum landete, war sie für niemanden mehr eine Hilfe.
»In Ordnung, ich rufe Santos an.« Sie nahm den Fuß vom Gas, bei dem Gedanken an Brady versagte ihr beinahe die Stimme. »Aber du musst dich beeilen.«
Jack lief der Schweiß in Strömen herunter, als er auflegte. »Verdammte Scheiße!« Er warf das Telefon auf das Armaturenbrett. »Sie ist ihm gefolgt. Wahrscheinlich steht sie direkt vor der Einfahrt zu seinem beschissenen Haus.«
»Ich weiß nicht genau, Chief.«
»Was? Was weißt du nicht genau?« Jack riss seine Augen von der Fahrbahn und sah Carlos an, der den Kopf über die Karte beugte.
»Wir haben zwei Möglichkeiten. Die Bude von Viper oder Lowell.«
»Was ist mit Lowell?«
Carlos schüttelte den Kopf, und Jack hatte plötzlich das Gefühl, sein wild hämmerndes Herz müsste ihm jeden Moment aus der Brust springen. Er würde jeden Augenblick auf dem Highway bei hundertfünfzig Sachen einen Herzanfall bekommen.
Sie war ihm hinterhergefahren.
»Dry Creek Road. Lowell wohnt da auch irgendwo. Die
genaue Adresse weiß ich nicht, aber es muss da in der Nähe sein. Erinnerst du dich nicht, dass er ständig über den weiten Weg jammert?«
Jack biss die Zähne aufeinander, bis ihm der Kiefer wehtat. »Schau noch mal in der Karte nach«, sagte er schließlich. »Sie hat von einer niedrigen Brücke gesprochen. Ist da irgendwo eine? Oder ein Fluss. Ein Bach. Irgendwas!«
»In der Karte sind keine Brücken eingezeichnet.«
»Mist!«
»Richtung Norden gibt es den Mesquite Creek, aber der verläuft parallel zum Highway. Jede Straße, die davon abgeht, muss ihn kreuzen.« Carlos sah zu Jack hoch. »Es bleibt dabei, wir müssen uns entscheiden: Viper oder Lowell.«
Jack umklammerte das Lenkrad. Er wusste nicht einmal, wie Viper aussah, weil er die Vernehmung nicht selbst übernommen, sondern Lowell hingeschickt hatte. Aber Fiona hatte das Phantombild in dem Tätowierstudio, in dem er arbeitete, herumgezeigt, und keiner hatte ihn erkannt.
Und dann war da Lowell, der der Zeichnung auch nicht ähnlich sah, Jack allerdings seit Beginn der Ermittlungen anlog. Vielleicht steckten sie unter einer Decke. Lowell hatte sich von Anfang an beinahe überschlagen vor Hilfsbereitschaft. Er hatte Melvin schließlich dazu gebracht, die Liste herauszurücken. Er hatte in der Nacht, als die Zeichnung veröffentlich wurde, freiwillig Telefondienst geschoben. Er hatte den Tätowierer überprüft. Er hatte die Sache mit der Reifenspur verfolgt.
Jack schnürte es die Kehle zu, als er daran dachte, dass auch die Unterschrift unter dem Bericht zu Lucys Fall von Lowell stammte. Lowell war damals noch ein junger Spund gewesen. Gerade ein Jahr bei der Polizei, und schon war er
mit der Vernehmung von Jacks Freundin wegen der Vergewaltigung durch irgendein rassistisches Arschloch betraut worden. Vielleicht hatte die Geschichte damals Lowell auf den Geschmack gebracht. Vielleicht hatte er die Zeichnung absichtlich vermurkst und irgendeine nichtssagende Visage – wie Fiona gesagt hatte – zusammengebastelt. Vielleicht war es ihm völlig egal gewesen, ob der Kerl jemals geschnappt wurde. Verdammt noch mal, vielleicht ging er mit dem Täter sogar regelmäßig ein Bier trinken.
»Ruf Lowell an«, sagte Jack und sah zu, wie die Tachonadel immer höher kletterte. Hundertsechzig. Hundertsiebzig. Bei dieser Geschwindigkeit konnte er nicht telefonieren. »Wir müssen herauskriegen, was da vor sich geht.«
»Stimmt. Aber was willst du ihn fragen? Wir wissen, dass er nicht der Mörder ist. Er sieht dem Phantombild kein bisschen ähnlich. Wir wissen nur, dass er eine Tätowierung hat und …«
»Wir wissen, dass er nicht derjenige ist, der die Leiche abgeladen hat und der Lucy vergewaltigt hat, aber das bedeutet noch lange nicht, dass er mit alldem nichts zu tun hat. Und er hat gelogen. Das bedeutet, dass er etwas verbirgt. Er hat von Anfang an in dem Fall mitgemischt,
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