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Der sanfte Kuss des Todes

Titel: Der sanfte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Griffin
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einer Überwachungskamera überführen. Für eine Identifizierung zählte in erster Linie der Gesamteindruck des Gesichts.
    Sobald eine vorläufige Identifizierung erfolgt war, konnte die Polizei dann weitere Mittel einsetzen, um eine definitive Übereinstimmung festzustellen. Fiona spielte in diesem Verfahren die Rolle des Vermittlers – ihre Zeichnung war das Bindeglied zwischen der einsamen Leiche und einer Familie irgendwo. Zumindest hoffte sie das.
    Sie ließ sich Zeit und wählte erst einmal die Utensilien aus, die sie benötigte, dann stand sie auf und begann mit ihrer Zeichnung. Sie stemmte das Zeichenbrett so gegen ihre Hüfte, dass sie daran vorbei das Mädchen betrachten konnte. Zunächst skizzierte sie in groben Umrissen das herzförmige Gesicht, dann machte sie sich an die Ausarbeitung der Gesichtszüge. Dabei arbeitete sie sich von oben nach unten vor, zuerst Augenbrauen und Augen, dann die fein geschnittene Nase. Nach und nach fügte sie immer mehr Einzelheiten hinzu, bis die Zeichnung dem Menschen zu ähneln begann. Als sie mit Augen und Nase zufrieden war, wandte sie sich dem Mund zu.
    Mit einem ihrer in Latex gehüllten Finger schob Fiona die Lippen des Mädchens zurück und besah sich die Zähne. Der linke obere Schneidezahn fehlte, aber dem Befund des Rechtsmediziners zufolge war diese Verletzung ungefähr zum Zeitpunkt des Todes entstanden. Es handelte sich also
nicht um ein besonderes Merkmal, das bei der Identifizierung eine Rolle spielen konnte, deshalb hielt Fiona sich nicht damit auf. Sie brauchte eine Weile, um das Kinn in die richtige Position zu bringen und die Folgen der Muskelerschlaffung zu korrigieren, die eine Leiche manchmal völlig anders aussehen ließ als den lebenden Menschen. Sobald dieser Teil des Gesichts ihren Vorstellungen entsprach, zeichnete sie einen, wie sie hoffte, natürlich aussehenden Mund, und hielt das Zeichenbrett anschließend ein Stück von sich weg, um ihr Werk zu begutachten.
    Ganz gut.
    Zum Schluss fügte sie den schwierigsten Körperteil von allen hinzu – die Ohren. Bei den meisten Phantombildern, die sie anfertigte, handelte es sich um männliche Verdächtige, die meist kurze Haare hatten, so dass die realistische Wiedergabe von Ohren eine Fähigkeit war, die sie sich notgedrungen bereits zu Beginn ihrer Laufbahn hatte aneignen müssen. In diesem Fall waren die Ohren möglicherweise insofern wichtig, als das Opfer in jedem Ohrläppchen zwei Löcher hatte. Das konnte die Identifizierung erleichtern.
    Fionas Beine wurden schwer, deshalb setzte sie sich, bevor sie mit den Schattierungen begann. Ein paar Minuten lang fügte sie Schlaglichter und Schatten in verschiedenen Brauntönen hinzu.
    »Na, ist Ihnen kalt genug?«
    Fiona hob den Kopf und blickte in die freundlichen braunen Augen des Rechtsmediziners von Grainger County. Mit seinen weißen Haaren und der großen Knubbelnase hatte Dr. Russell Jamison etwas Großväterliches an sich.
    Fiona war ihm gleich bei Betreten des Leichenschauhauses begegnet, aber da hatte es den Anschein gehabt, als
wäre er gerade auf dem Nachhauseweg, und sie hatte nicht erwartet, ihn noch einmal zu sehen.
    »Es geht.« Sie unterdrückte ein Zittern. »Angenehm ruhig heute, was?«
    Er sah sich um. »So weit, so gut.« Er zwinkerte ihr zu. »Aber ich nehme mir vorsichtshalber heute nichts vor. Irgendetwas sagt mir, dass wir eine unfallträchtige Nacht vor uns haben. Was wollen wir wetten, dass wir noch vor neun jemanden reinkriegen, der sich mit seinem Auto um einen Baum gewickelt hat?«
    Fiona hob die Augenbrauen, verzichtete jedoch auf eine Antwort. Ihrer Erfahrung nach hatten Rechtsmediziner einen seltsamen Sinn für Humor. Nach außen hin mochte es so aussehen, als würde Jamison so etwas als willkommene Abwechslung betrachten, aber Fiona bezweifelte das. Jack hatte ihn als »äußerst pflichtbewusst« beschrieben, und der penibel abgefasste Obduktionsbericht war in Fionas Augen ein hinreichender Beweis dafür.
    »Ihrem Bericht zufolge haben Sie keine Tätowierungen gefunden?«, erkundigte sie sich. Von Tätowierungen, die sich nicht im Gesicht befanden, fertigte Fiona immer separate Zeichnungen an und überließ es den Ermittlern, ob sie mit solchen Details an die Öffentlichkeit gingen.
    »Keine einzige«, erwiderte Jamison und vergrub die Hände in den Taschen seiner Khakihose. Mit seinem dicken grünen Anorak und der Baseballkappe sah er aus, als wollte er zu einem Angelausflug aufbrechen.
    »Und ihre Frisur? Auf dem

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