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Der sanfte Kuss des Todes

Titel: Der sanfte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Griffin
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den beiden Ohrringen hatte man getrocknetes Blut gefunden, und sie waren im Augenblick zur Untersuchung im Kriminallabor. Dort befanden sich außerdem forensische Beweise von der Leiche des Opfers sowie der Gipsabguss einer Reifenspur, den Carlos am Fundort angefertigt hatte. Jack ging davon aus, dass er in ein paar Tagen einen ausführlichen Bericht erhalten würde – plus oder minus ein Jahr. Das staatliche Labor war berüchtigt für seine Langsamkeit, aber Jack hatte keine andere Wahl. Die Polizei von Graingerville konnte sich kein eigenes Labor
leisten. Sie konnte sich ja kaum einen Getränkeautomaten leisten.
    Fiona trat zu ihrer Zeichnung. Sie hatte ihre Haare zu einem Knoten geschlungen und mit einem Bleistift festgesteckt.
    »Ich weiß, dass es nicht weiter von Belang zu sein scheint«, sagte sie, »aber es ist wichtig, solche Dinge richtig wiederzugeben. Manchmal kann ein Kleidungsstück oder ein Schmuckstück entscheidend für die Identifizierung sein.«
    Jack betrachtete Fionas Zeichnung, die einen lächelnden dunkelhaarigen Teenager zeigte. In Farbe.
    »Wie haben Sie das gemacht?«, fragte er verblüfft. Das Bild hatte keine Ähnlichkeit mit der misshandelten Leiche, vor der er gestanden hatte – und andererseits doch.
    »Was?«
    Er deutete auf die Augen, das Lächeln. »Dass sie so lebendig aussieht.«
    »Es hat einige Zeit gedauert.« Fiona musterte ihre Zeichnung mit einem kritischen Blick. Sie nahm ein Fläschchen Korrekturflüssigkeit von der Ablage der Staffelei, schüttelte es und tupfte auf jede Iris behutsam einen winzigen weißen Fleck, der die Augen noch wacher aussehen ließ.
    »Das ist bei Zeichnungen von Toten immer am schwierigsten«, sagte sie. »Ein lebendiger Ausdruck, das ist nur schwer hinzukriegen. Aber ohne das sieht möglicherweise nicht einmal jemand, der sie gut gekannt hat, eine Ähnlichkeit. Der Mensch hat immer etwas Bewegtes. Wenn das fehlt, kann eine Identifizierung ziemlich schwierig werden, selbst wenn man ein gutes Foto als Vorlage hat oder die Leiche kaum Verletzungen aufweist.«
    Jack bewunderte, wie selbstbewusst und überzeugend sie von ihrer Arbeit sprach. Sie strahlte Stärke aus. Aber
gleichzeitig wirkte sie auch irgendwie zerbrechlich – vielleicht lag es daran, dass ihr sein Hemd etliche Nummern zu groß war. Und dann war da noch dieses Kleinmädchen-Armband, das sie am Handgelenk trug. Es war aus rotem und orangefarbenem Garn geknüpft und erinnerte Jack an die Handarbeiten seiner kleinen Nichten.
    »Wo wollen Sie es aushängen?«, fragte Fiona.
    Er richtete seinen Blick wieder auf die Zeichnung. »Auf jeden Fall in der Obstkonservenfabrik. In der Raffinerie. Die Arbeiter hier bilden eine ziemlich enge Gemeinschaft. Wenn sie sich längere Zeit in der Gegend aufgehalten hat, kennt sie mit ziemlicher Sicherheit jemand.«
    »Jamison sagte, er hätte die Fingerspitzen rehydriert, damit er Ihnen einen brauchbaren Satz Abdrücke liefern kann. Ich vermute, Sie hatten kein Glück?«
    »In der Führerschein-Datenbank war nichts«, erwiderte er. »Und es gibt auch keinen Eintrag im Vorstrafenregister.«
    Fiona nickte. »Wahrscheinlich war sie zu jung für den Führerschein. Ich würde sie auf fünfzehn schätzen.«
    Jack betrachtete erneut die Zeichnung. »Ich werde die Zeichnung auch an alle Polizeidienststellen schicken, außerdem an Wohnheime und Kirchen mit Betreuungseinrichtungen.«
    »Irgendwelche Hinweise auf Drogen?«
    »Nein«, sagte er. »Und auch keine Anzeichen für Unterernährung. Woher sie auch kam, es gab Leute, die sich um sie gekümmert haben.«
    Fiona stieß einen leisen Seufzer aus. Das klang so hoffnungslos, dass Jack erneut Schuldgefühle bekam, weil er sie in diese Sache hineingezogen hatte. Sie war eine schöne Frau, und plötzlich wünschte er, sie wäre zu Hause
in Austin und würde schöne Bilder malen, statt sich hier mit Tod und Gewalt auseinanderzusetzen. Dieser Job passte nicht zu ihr.
    »Sind Sie mit dem Täter schon fertig?«
    Sie zuckte zusammen – kaum merklich -, aber Jack fiel es trotzdem auf. »Fast«, sagte sie.
    Sie ging quer durch das Zimmer zu einem billigen Holzschreibtisch und schaltete die Lampe ein, die darauf stand. Neben der Lampe sah er eine Dose Fixierspray und eine Kohlezeichnung mit dem Brustbild eines Mannes.
    »Das ist das Original nach Lucys Beschreibung«, erklärte sie.
    Jack musterte das Bild. Der Mann hatte strubbelige dunkle Haare und eine breite Nase. Seine Haut war großporig und von Pockennarben übersät.

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