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Der sanfte Kuss des Todes

Titel: Der sanfte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Griffin
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Unter den eingesunkenen Augen lagen tiefe Ringe.
    »Er kommt Ihnen nicht bekannt vor, oder?«
    Er drehte sich zu Fiona, die ihn aufmerksam beobachtete.
    »Nein«, sagte Jack. Offensichtlich war es ihm nicht gelungen, seine Enttäuschung zu verbergen. Und jetzt kam er sich albern vor, weil er sich unrealistischen Erwartungen hingegeben hatte. Was hatte er denn gedacht? Dass er nur eine berühmte Künstlerin hierherzuholen brauchte und sie ihm im Handumdrehen ein Bild des Kerls liefern würde, der im Supermarkt Lebensmittel klaute?
    In Wirklichkeit liefen Ermittlungen nicht so. Zumindest die nicht, die er bisher geleitet hatte. Mordfälle bedeuteten endlose Überstunden, gründliche Polizeiarbeit und logisches Denken. Und selbst dann war vieles reine Glückssache.
    Vielleicht hatte er in Fiona so etwas wie ein Zaubermittel gesehen. Er hatte sich eingebildet, dass er sie nur herzuholen
brauchte, und die einzelnen Teile würden sich zu einem Bild fügen. Es war ihm peinlich, sich das einzugestehen, aber offenbar hatte er zu viele Berichte im Fernsehen gesehen. Er hatte sich tatsächlich von dem Kult, den man um sie machte, anstecken lassen.
    »Lucy glaubt, dass ihr Angreifer ungefähr Mitte zwanzig war.«
    Fiona hob die Zeichnung hoch und zog darunter eine zweite hervor. Sie zeigte das gleiche Gesicht, aber insgesamt etwas breiter und mit einem dickeren Hals. Der Haaransatz war ein Stück nach hinten gerückt, und die Falten um den Mund hatten sich vertieft.
    »Das wäre er, um zehn Jahre gealtert.« Sie legte eine Klarsichtfolie über die Zeichnung und jetzt hatte der Mann auf einmal Bart und Brille. »Und hier noch eine Version.«
    Jack nickte zustimmend.
    Sie zog eine weitere Zeichnung hervor, nur dass hier der Mann wesentlich dünner war als auf den beiden anderen. Die Knochen traten stärker hervor und seine Wangen waren eingefallen.
    »Das wäre eine dritte Möglichkeit«, sagte sie. »Hängt von seinem Gesundheitszustand ab. Vielleicht ist er alkohol- oder drogenabhängig und isst nicht besonders viel. Genauso gut kann er inzwischen vierzig Kilo zugenommen haben. Ich habe keine Ahnung.« Sie blickte zu ihm auf. »Da ist noch etwas, das Sie vielleicht interessiert. Lucy hat gesagt, es hätte die ganze Zeit penetrant nach Zigaretten gerochen, sowohl sein Atem als auch der Raum. Dieser Mann ist Raucher oder zumindest war er es vor elf Jahren. Ich weiß nicht, ob Ihnen das weiterhilft, aber ich dachte, Sie sollten es wissen.«
    Jack nickte, überrascht, dass es ihm nie in den Sinn gekommen
war, sich nach Einzelheiten dieser Art zu erkundigen. Im Polizeibericht wurde nichts davon erwähnt. Noch ein Hinweis, der damals allen Beteiligten entgangen war. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, als hätten überhaupt keine ernsthaften Ermittlungen stattgefunden.
    Fiona wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Zeichnung zu. »Am besten lassen sich solche Alterungsprozesse vornehmen, wenn man ein Foto hat. Normalerweise stehen mir bei Kindern Schulfotos zur Verfügung und bei Verbrechern Polizeifotos. Wenn es möglich ist, greife ich auch auf Fotos von Geschwistern und Eltern zurück. Damit lässt sich oft ganz gut vorhersagen, wie jemand aussehen könnte, wenn er älter ist. Aber in diesem Fall handelt es sich bei der Vorlage leider um eine Zeichnung.«
    Jack stieß einen Seufzer aus. Über all das hatte er sich bisher überhaupt keine Gedanken gemacht.
    »Wegen der vielen Unwägbarkeiten«, fuhr Fiona fort, »kann ich Ihnen nicht guten Gewissens empfehlen, eines dieser Bilder zu veröffentlichen. Es gibt einfach zu viele unbekannte Faktoren, es ist zu viel Zeit vergangen. Und Sie wissen ja nicht einmal mit Sicherheit, ob wir es mit demselben Mann zu tun haben, der damals Lucy überfallen hat, oder?«
    Er erwiderte ihren Blick und presste die Lippen zusammen. Sie hatte recht, aber es fiel ihm schwer, sich das einzugestehen. Er wünschte, er könnte einen Beweis aus dem Ärmel zaubern, dass die beiden Fälle etwas miteinander zu tun hatten, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt gab es nichts außer ein paar vagen Indizien. Vielleicht, wenn die Ergebnisse der Laboruntersuchung eintrafen …
    »Jack? Ich fürchte, ich muss Ihnen davon abraten, eine dieser Zeichnungen zu verwenden.«

    »Nun ja, sie gehören jetzt mir, richtig? Also ist das wohl meine Entscheidung.«
    Vor den Kopf gestoßen zuckte sie zurück. Plötzlich schien wieder eine unüberbrückbare Distanz zwischen ihnen zu bestehen. »Nein. Da bin ich anderer Meinung.« Sie

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