Der sanfte Kuss des Todes
diese Arbeit machte. Es war schön, diesen Hoffnungsfunken in den Augen der Menschen aufglimmen zu lassen.
So wie es schlimm sein würde, zusehen zu müssen, wie er in den kommenden Wochen und Monaten, wenn klar wurde, dass Shelby Sherwood nicht nach Hause kommen würde, nach und nach erlosch. Selbst Keith Janovics Verhaftung, falls man ihn überhaupt jemals erwischte, konnte das nicht wiedergutmachen.
Fiona schaltete den Fernseher aus. »Danke, aber es ist mir ernst damit, ich möchte etwas anderes machen.«
»Lassen Sie es mich wissen, falls Sie Ihre Meinung ändern«, sagte Sullivan, und sie hörte die Enttäuschung in seiner Stimme. »Es war mir eine Ehre, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.«
»Danke.« Sie rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, es fiel ihr schwer, ihre Bitte auszusprechen. Sullivan arbeitete an einem wichtigen Fall, und das bedeutete unzählige Überstunden. Wahrscheinlich hatte er viel zu viel um die Ohren, als dass man ihn auch noch mit zusätzlichen Telefonaten belästigen durfte. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich anzurufen, wenn Sie etwas Neues über Shelby wissen?«
An einem gewissen Punkt war es zu einer persönlichen Angelegenheit geworden. Fiona hatte sich dagegen gewehrt, aber das funktionierte nie.
»Wir werden sie finden«, sagte er ernst.
»Ich weiß.«
Jack starrte auf den Obduktionsbericht, der auf seinem Schreibtisch lag, als könnte er ihm auf diese Weise irgendeine Information entlocken, die er bisher übersehen hatte. Bis die Laborergebnisse eintrafen, musste er sich damit begnügen. Der Gipsabguss des Reifenprofils, die grüne Schnur und die biologischen Spuren, die bei der Obduktion gesichert worden waren, lagen zur Untersuchung im Labor. Jetzt war es an der Zeit für ein bisschen solides polizeiliches Handwerk.
Glücklicherweise war das genau die Art Arbeit, die Jack am besten beherrschte. Das Puzzle zusammensetzen. Fehlende Teilchen an Stellen finden, an denen noch niemand gesucht hatte.
Bedauerlicherweise hatte er bislang nur sehr wenige Teilchen, mit denen er arbeiten konnte.
Das Opfer war noch immer nicht identifiziert, obwohl er davon ausging, dass Fionas Zeichnung dieses Problem lösen würde. Sie hatte es geschafft, eine misshandelte Leiche in ein lächelndes Mädchen zu verwandeln. Jemand würde sie erkennen, und dadurch würde Jack Einblick in die Denkweise des Mörders gewinnen. Nach welchem Prinzip suchte er seine Opfer aus? Wo beging er seine Taten?
Lucy war damals an einem bitterkalten Dezemberabend die Straße entlanggegangen. Sie hatte gefroren und nicht auf ihre Umgebung geachtet. Nach dem heftigen Streit mit ihren Eltern war sie zu aufgebracht, um sich Gedanken über irgendwelche Gefahren zu machen.
Was war mit der unbekannten Toten? War sie allein in der Nähe von Graingerville unterwegs gewesen? Aus ihren sauberen bloßen Füßen und dem Fehlen jeglicher Spuren am Leichenfundort schloss Jack, dass sie höchstwahrscheinlich woanders umgebracht worden war. Gestützt wurde diese Annahme durch den Befund des Rechtsmediziners, dass ihr die Verletzungen im Verlauf mehrerer Stunden zugefügt worden waren, was bedeutete, dass der Mörder sie an einem anderen Ort gefangen gehalten hatte. Aber wo? Und welchen Grund hatte der Mörder, die Leiche unweit einer Siedlung abzuladen, wo ihn möglicherweise jemand beobachtete? Das war ziemlich riskant, und es bereitete Jack Kopfzerbrechen.
Er fragte sich, wo sie ihrem Mörder begegnet war. Wahrscheinlich nicht in einer Bar. Wie Fiona festgestellt hatte, sah das Mädchen sehr jung aus, vielleicht war sie also noch jünger, als der Rechtsmediziner geschätzt hatte. Hier in der Gegend wäre sie nirgendwo bedient worden.
Sie könnte eine Ausreißerin sein oder eine Prostituierte, oder beides.
Aber die Untersuchungsergebnisse sprachen eher dagegen. Sie war gesund gewesen. Gut genährt, keine Geschlechtskrankheiten. Sie hatte ebenmäßige weiße Zähne gehabt, mit einer einzigen Füllung, die schon älter war.
Sie war jung. Hispanischer Abstammung. Und schön, wenn Fionas Zeichnung stimmte. Diese drei Merkmale hatte die unbekannte Tote mit Lucy gemeinsam, und die gingen Jack nicht aus dem Kopf. Die Ähnlichkeiten ließen ihm keine Ruhe, sie machten ihn nervös, und zwar aus dem einfachen Grund, dass sie sich hier im Süden von Texas befanden, wo verschiedene Kulturen direkt aufeinandertrafen, in dem Wut und Ressentiments aufflammten, insbesondere in Krisenzeiten. Wenn es hier jemand auf hübsche
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