Der sanfte Kuss des Todes
gestylten Einrichtung des Restaurants, aber statt fehl am Platz oder verlegen zu wirken, sah er einfach nur noch männlicher und tatkräftiger aus als sonst. Er machte Fiona nervös, und sie konzentrierte ihren Blick wieder auf die Speisekarte. Sie hatte seit jeher eine Schwäche für entschlossene Männer, und der hier brachte alle ihre vor sich hin dösenden Hormone auf Touren.
»Warum haben Sie mir keine Rechnung für Ihre Zeichnung gestellt?«, fragte er.
Sie ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Die Gründe dafür waren kompliziert, und sie hatte keine Lust, sie ihm auseinanderzusetzen. »Manchmal arbeite ich unentgeltlich. Nicht der Rede wert.«
Sie hob ihr Weinglas, und ihre Blicke trafen sich. Seine Augen hatten die gleiche Farbe wie das Wasser im Aquarium, und sie ärgerte sich, dass sie dieses Lokal vorgeschlagen hatte.
»Das will ich nicht annehmen.«
»Warum?«
»Damit ich Sie um einen Gefallen bitten kann.«
Die Kellnerin kam, um ihre Bestellung aufzunehmen, und Fiona nutzte die Unterbrechung, um sich zu wappnen. Ein weiterer Gefallen. Ein weiterer Auftrag. Sie musste es endlich schaffen, nein zu sagen, allerdings war bis jetzt jeder dahingehende Versuch fehlgeschlagen.
»Sie wollen mich noch einmal engagieren«, sagte sie, als die Kellnerin wieder weg war.
»Stimmt.«
»Ich will nicht. Ich will auch nicht, dass Nathan mich engagiert oder das FBI oder sonst wer. Für mich ist die Zeit für etwas Neues gekommen, Jack. Ich – ich habe bald eine Ausstellung, und ich bin nicht einmal annähernd fertig mit den Vorbereitungen. Das ist eine Riesenchance, und ich kann es mir nicht leisten, sie nicht zu nutzen.«
»Ich habe einen weiteren Zeugen«, erwiderte er, als hätte sie überhaupt nichts gesagt. »Ein neunjähriger Junge. Sein Name ist Brady Cox. Er hat den Mörder dabei beobachtet, wie er die Leiche abgeladen hat.«
Fiona schloss die Augen und zählte im Stillen bis zehn.
»Sie müssen für mich mit diesem Jungen reden und ein Bild von dem Mann anfertigen.«
Sie wich seinem Blick aus. Sie konnte ihn nicht ansehen. Er ging über jeglichen Widerstand einfach hinweg. Sie wusste nicht genau, wie er das machte, aber sie war sich ziemlich sicher, dass es etwas mit seinem Blick zu tun hatte.
Sie starrte auf die Fische – alle in schillernden Schattierungen von Orange, Rot und Gold -, die einzeln oder in Grüppchen durch das Wasser glitten. Sie erinnerten sie an Flammen. Sie erinnerten sie an das geknüpfte rote und orangefarbene Armband an ihrem Handgelenk und an all die Gründe, warum sie sich nicht wieder in die Sache hineinziehen lassen durfte, sonst kam sie nie mehr davon weg. Sie würde anfangen, die Nachrichten auf CNN einzuschalten, sie würde nicht mehr schlafen können und nachts wach im Bett liegen, verfolgt von den Bildern von Kinderschändern.
Jacks Hand legte sich auf ihre. Sie war groß und stark, und Fiona betrachtete sie, spürte, wie die Hitze, die davon ausging, ihren Arm hochstieg und sich in ihrem Körper
ausbreitete. Sie sah ihn nicht an, wollte sich auf diese Berührung nicht einlassen. Wenn sie es tat, dann hieß das, sich auf weitere Berührungen einzulassen. Und das konnte sie nicht, weil sie genau wusste, dass er diese Berührungen benutzte, um ihren Widerstand zu überwinden. Er ging bei seinen Ermittlungen entschlossen vor – das hatte sie selbst erlebt. Sie bewunderte ihn dafür. Aber es bedeutete, dass er jedes Mittel nutzen würde, einschließlich Lügen und wahrscheinlich auch vorgegaukelter Gefühle, um seinen Fall aufzuklären.
Und sie wusste noch immer nicht, warum dieser Fall so wichtig für ihn war, weil er sich weigerte, es ihr zu sagen.
»Sie sind den langen Weg bis nach Austin gefahren, um mich das zu fragen?«
»Ich dachte, mir ist mehr Glück beschieden, wenn ich persönlich erscheine.« Sie warf ihm einen raschen Blick zu und sah ein jungenhaftes Grinsen um seine Mundwinkel spielen. »Es fällt Ihnen schwer, mir etwas abzuschlagen.«
Sie entzog ihm ihre Hand und griff nach ihrem Glas. Sie spürte, dass er sie beobachtete, vermutlich plante er seinen nächsten Schachzug.
Warum dachte sie überhaupt darüber nach? Hatte sie etwa kein Rückgrat?
Sie stellte das Glas behutsam zurück auf den Tresen und sah Jack in die Augen. Wenn er sie noch einmal anlog, dann war die Sache für sie gelaufen. Und zwar endgültig. Zum Teufel mit Jack Bowman und seinem Fall, zum Teufel mit Nathan und ihrer Freundschaft. Wenn dieser Mann sie noch einmal anlog, würde sie
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