Der sanfte Kuss des Todes
inne. »Ach ja, jetzt erinnere ich mich. Graue Limousine. Sie ist zu ihm eingestiegen.«
»Sage ich doch«, erwiderte Jack.
»Jack, was regen Sie sich auf? Die Frau ist freiwillig in den Wagen eines Mannes eingestiegen. Sie ist erwachsen. Sie kann tun und lassen, was sie will.«
»Ist Ihnen vielleicht mal der Gedanke gekommen, dass ihr Verschwinden etwas mit meinem Mordfall zu tun haben könnte?«
Randy legte die Füße wieder auf den Schreibtisch, als wäre er bereit, sich eine interessante Geschichte anzuhören. »Ach so?«
»Mein Opfer ist achtzehn. Hispanischer Abstammung. Ihre Leiche taucht an einem kalten Wintermorgen in Grainger County auf. Veronica Morales ist neunzehn. Hispanischer Abstammung. Sie verschwindet an einem kalten Winterabend in Grainger County. Zuletzt wurde sie gesehen, als sie in eine graue Limousine einstieg. Lucy Arrellando war achtzehn. Hispanischer Abstammung. An einem kalten Winterabend in einer grauen Limousine entführt. Erkennen Sie da vielleicht ein gewisses Muster?«
Randy wechselte einen vielsagenden Blick mit seinem Schwiegervater, und Jack musste gegen den Drang ankämpfen, ihm einen Kinnhaken zu verpassen.
»Sind Sie sicher, dass das nichts Persönliches ist?«, fragte Randy.
Jack holte tief Luft. »Wenn es darum geht, dass mir persönlich etwas daran liegt, meine Arbeit gewissenhaft zu tun, ja, dann ist es wohl etwas Persönliches. Sieht so aus, als wäre Ihnen so etwas völlig fremd. Darüber hinaus sieht es so aus, als hätten Veronicas Eltern Ihre Arbeit für Sie erledigt. Die Morales’ haben die Abendnachrichten gesehen und eine Verbindung zwischen den drei verschiedenen Fällen hergestellt. Was man auch Polizeiarbeit nennen könnte.
Vielleicht sollten Sie ihnen eine Dienstmarke geben und dafür ein paar von den faulen Säcken, die hier rumlungern, feuern.«
»Passen Sie auf, was Sie sagen, Jack.« Das kam vom Sofa.
Jack wandte seine Aufmerksamkeit dem Bürgermeister zu. »Haben Sie etwas beizutragen, Bob? Wollen Sie mir vielleicht erklären, wie man die Ermittlung in einem Mordfall führt?«
Spivey erhob sich und stülpte den Stetson auf seine Glatze. »Sie bewegen sich hier auf dünnem Eis. Sie pöbeln uns wegen irgendwelcher uralter ungelöster Fälle und schlampiger Ermittlungen an. Berufen Pressekonferenzen ein. Versetzen die halbe Stadt in Unruhe. Sind in Kneipenschlägereien verwickelt …«
»Hoyt hat auf dem Parkplatz eine Frau angegriffen!«
Spiveys Augen funkelten. »Und was haben Sie dagegen unternommen, hm? Haben Sie sich verhalten, wie es für einen Polizeichef angemessen ist? Nein, Sie haben versucht, ihm den Schädel einzuschlagen! Sie können womöglich mit einer Klage wegen übermäßiger Gewaltanwendung rechnen.«
»Das ist doch Schwachsinn«, sagte Jack. »Hoyt Dixon weiß nicht mal, wie man ›übermäßige Gewaltanwendung‹ schreibt, geschweige denn, dass er eine Klage anstrengen könnte. Und außerdem hat der Kerl Schlägereien angezettelt, seit er gerade mal über den Tresen schauen kann.«
Spivey ging zur Tür. Kurz davor drehte er sich noch einmal um. »Reißen Sie sich zusammen, Jack. Sie sind hier nicht in Houston. Wir haben es gern ruhig und friedlich in unserem Städtchen, und es gefällt uns nicht, dass Sie rumrennen und Staub aufwirbeln.« Er richtete einen Finger auf Jack. »Hoyt Dixon mag nicht wissen, wie man ›übermäßige
Gewaltanwendung‹ schreibt, aber Sie können Ihren Arsch darauf verwetten, dass sein Anwalt es weiß.«
Fiona verließ das Polizeipräsidium von Austin und zog zum Schutz vor dem Wind die Schultern ein. Der Seufzer, den sie ausstieß, verwandelte sich augenblicklich in ein weißes Wölkchen.
Was war bloß mit dem Wetter los? In Texas konnte man normalerweise mit milden Temperaturen im Winter rechnen, aber sie fror jetzt schon seit zwei Wochen ununterbrochen. Allmählich hatte sie die Hosen und Stiefel und kratzigen Wollschals satt. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, entwickelte sie langsam eine Allergie gegen ihre Schwester. Fiona kniff die Augen zusammen und wünschte sich eine Warmwetterfront.
Und eine Tasse heißen Kaffee.
Und eine Woche ungestörten Schlaf.
Sie achtete auf die Stufen, um nicht zu stolpern, als sie die Treppe hinunterging. Ihre Augen brannten vor Müdigkeit und fühlten sich geschwollen an. Sie hatte bis ein Uhr nachts gemalt. Schließlich hatte sie sich – vollständig angezogen – auf ihr Bett fallen lassen, nur um drei Stunden später von Nathan geweckt zu
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