Der sanfte Kuss des Todes
hatte. Sie wartete, ob der Anrufer eine Nachricht hinterlassen würde.
In dem Moment klapperte die Fliegengittertür und fiel mit einem dumpfen Geräusch gegen den Türrahmen. Endlich war er zurück.
Und sein Pick-up?
Eiskalte Angst durchfuhr sie, als ihr klar wurde, dass sie kein Motorengeräusch gehört hatte. Sie erstarrte, während sie verzweifelt auf irgendein Geräusch lauschte.
Nichts.
Hatte sie sich das Klappern der Fliegengittertür vielleicht nur eingebildet? Nein, bestimmt nicht. Sie wollte Jacks Namen rufen, aber wenn er es gar nicht war? Wenn es ein Einbrecher war, der dachte, dass sich niemand im Haus aufhielt? Oder einer, der wusste, dass jemand da war, eine Frau, allein und schutzlos.
Sie sprang aus dem Bett, schnappte sich ihre Handtasche, steckte das Handy zu der Ruger. Wo waren ihre Kleider? Über einem Stuhl hing etwas Dunkles, sie schnappte es sich und drückte es an ihre Brust. Auf Zehenspitzen schlich sie zum Schrank. Die Tür stand offen, und sie quetschte sich hinein.
Im Schrank war es eng. Hinter ihr hingen Kleidungsstücke
auf Bügeln, die über die Stange kratzten, als sie sich dagegenpresste. Sie versuchte, sich nicht zu rühren.
Wer war das nur?
Das Haus war wieder totenstill, nur das Klopfen ihres Herzens war zu hören.
Hatte sie sich das Geräusch etwa eingebildet? War sie so sehr mit den Nerven herunter, dass sie schon fantasierte? Sie erinnerte sich an ihre unbegründete Panik wegen des Mannes an der Tankstelle. Sie holte tief Luft und versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Alles war ruhig. Der Schrank roch nach Weichspüler und Leder und frischer Erde. Sie spürte die Spitzen von Jacks Turnschuhen unter ihren Füßen.
Ein Knarzen.
Ihr Puls fing an zu rasen. Das hatte sie sich nicht eingebildet. Jemand war hier im Haus, und sie hatte Jacks Auto nicht gehört. Sie kämpfte sich in das Sweatshirt, das sie von dem Stuhl genommen hatte, und zog die Ruger aus ihrer Handtasche.
Nicht panisch werden. Werd jetzt bloß nicht panisch . Es könnte doch Jack sein. Vielleicht hatte ihn jemand an der Straße abgesetzt und er versuchte möglichst leise zu sein, um sie nicht zu wecken. Vielleicht war es Jacks Nachbar oder ein Freund. Oder eine Nichte oder ein Neffe, die sich mitten in der Nacht um das Haus herumschlichen. Keine dieser Erklärungen klang sonderlich überzeugend, aber …
Wieder knarzte es.
O Gott. Sie wollte schlucken, aber ihr Mund war staubtrocken. Ihre Lunge brannte und ihr Herz raste. Sie hielt die Ruger in der Hand, auf den Boden gerichtet, hoffte verzweifelt, dass sie keinen schrecklichen Fehler begehen würde.
Und dann ein Quietschen – und die Tür fiel wieder ins Schloss.
Sie stieß die Luft aus. Dann trat sie aus dem Schrank, eilte zum Fenster und spähte durch die Jalousie. In dem Licht der Strahler am Haus sah sie nur ein völlig verlassen daliegendes Feld. Sie lief durch das Zimmer und versuchte es an einem anderen Fenster. Nichts.
Sie hörte, wie in einiger Entfernung ein Motor ansprang. Sie rannte aus dem Schlafzimmer ans andere Ende des Hauses, wo die Fenster zum Highway hinausgingen, aber auch hier war nichts zu entdecken. Keine Scheinwerfer auf der Straße. Ihr Herz pochte laut, als sich das Motorengeräusch langsam entfernte.
Es war nach Mitternacht, als Nathan endlich wegkam. Der Tag war die Hölle gewesen, gekrönt von der einstündigen Betteltour bei den Kollegen, von denen er sämtliche über die Jahre hinweg erwiesenen Gefälligkeiten einfordern musste, um Fionas Schwester vor einer Anklage wegen Sachbeschädigung zu bewahren. Es hatte die Sache etwas erleichtert, dass dieser John D. Alvin, Besitzer des mittlerweile schrottreifen Autos, keine Anzeige erstatten und die ganze Angelegenheit nicht an die große Glocke hängen wollte. Was die Sache allerdings nicht erleichtert hatte, war, dass Fionas Schwester voll wie eine Haubitze war und den Wachmann vor der Ausnüchterungszelle beschimpft hatte, während Nathan gerade dessen Vorgesetzten um den Bart ging.
Was für eine beschissene Nacht.
Nathan verließ den Parkplatz und dachte an zu Hause. Er brauchte jetzt dringend eine Pizza und einen Scotch und irgendeine schwachsinnige Fernsehsendung. Während er vor
einer roten Ampel stand, ging er in Gedanken den Inhalt seines Tiefkühlschranks durch.
Da fiel sein Blick auf die Frau, die an der Straßenecke stand. Courtney Glass. Sie war groß und schlank und hatte in Anbetracht der Temperaturen und der Umgebung deutlich zu wenig an.
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