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Der Sang der Sakije

Titel: Der Sang der Sakije Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Seidel
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ging unhörbar umher, ohne zunächst zu wissen, was er mit sich anzufangen habe. Vor die offene Tür von Percys Schlafzimmer, der drinnen unter einem großen Mückennetz seinen kräftigen Schlummer abhielt, hockte er sich hin und suchte in seiner Schärpentasche: suchte und fand ein gähnendes Nichts. Auf einmal überkam ihn die Müdigkeit; er sank zur Seite und schlief auf der Stelle ein.
    Dieser Schlaf war bleiern und traumlos.
    Als er emporschreckte mit leicht zitternden Händen, spürte er die Nachwirkung eines energischen Fußtritts zwischen den Schultern, denn Percy, der ins Badezimmer ging, hatte ihn solcher Art aus dem Wege geräumt. Daûd runzelte sehr finster die Brauen. Dann ging er unter die Treppe, in die Nähe des Niggers, zog seinen kleinen Teppich aus dem Versteck und verrichtete stumm seine Morgenandacht. Er tat dies etwa seit einem Jahr, sehr verstohlen, seit er mit den Inglîzzusammenlebte, da er Fragen scheute. Er tat es weniger aus Glaubensdrang (war auch in seinem Alter noch nicht dazu verpflichtet), sondern nur sozusagen prophylaktisch. Es schien ihm besonders nötig, die mechanischen Hüftbewegungen im Kniesitz zu erledigen, das war, besonders hier in der Stadt, ein Gegengift gegen die tausend unbewußten Verstöße gegen das Gesetz, die er sich gleich den andern skrupellos leistete ...
    Heute aber, er wußte nicht warum, war er schier noch gründlicher bei der Sache als sonst. Ihm war, als müsse er sich sicherstellen, eine Handlung begehen, die ihn von dem, was ihn hier in diesem Hause umgab, abschied, und während er lautlos in seinem Kopf die Satzreihen vorüberziehen ließ und dann niedersank, die Stirn auf den Teppich gebeugt, geschah etwas Unausdenkbares, Überrumpelndes.
    Denn eine Stimme, ganz nahe von oben, schrie mitten in seine verlorene Meditation hinein, schrill und höhnisch: »Ay, little chap! Dein Kopf wird auch nicht besser davon, wenn du auf und nieder wackelst! Wo hast du dich denn die ganze Nacht herumgetrieben, du kleines Schwein?!«
    Der das schrie, war Percy, war heiterste Ignoranz. Er kam soeben von der Dusche und war voll morgendlicher Frische und Tatenlust? Er lehnte, noch kaum bekleidet, dicht über Daûd am Geländer und klatschte mit dem feuchten Handtuch über des Beters gebeugten Nacken. Daûd fuhr zusammen und warf den Kopf empor.Wer war das dort oben an der Treppe??
    Wer unterfing sich hier, ein Gebet grob zu mißachten, niederzuschreien, zu schänden??
    Ha, ja, er kannte ihn, er kannte ihn! Das war der, dem er nachgekrochen war, dem er geschmeichelt, um dessen Freundschaft er geworben, und der ihm dafür Fußtritte versetzte, wie gerade jetzt vor einer halben Stunde. In diesem Augenblick, da Daûds Augen vor Zorn kreisrund aus bebenden Fibern eines verzerrten Gesichts starrten, war ihm dieser andere, der dort oben tanzte, Spottlieder sang und sein Gebet zerschrie, fremd, grundfremd und nichts als hassenswert.
    Blitzschnell gingen ihm alle Demütigungen durch den Kopf, die er früher erlitten, das Wort »Schwarzer«, mit dem er bespien worden war, der Raub der Amulette und tausenderlei andere Sünden dieses weißen Teufels, dieses fremden, albernen Dreikäsehochs, der sich wunder etwas dünkte und doch nur aus Aufgeblasenheit und urteilsschwacher Dummheit bestand!!
    Aber jetzt, jetzt, seit der letzten Nacht, war die Welt für Daûd verwandelt; jetzt war die Scheidewand da, jetzt war das kindliche Anschmiegungsbedürfnis, jenes leidende Glück, aus seinem Blut gefahren, als ob ein Gewitter es gereinigt habe!
    Mit einem einzigen Sprung setzte er über das Geländer, und viel zu sehr außer sich, um eine Beschimpfung zu schreien, griff er hastig atmend mit einem Gesicht, das vor Wut litt, nach Percys Kehle. Dieser nun, viel zu verblüfft, um sich zu wehren, sah ihn noch belustigtan, bis er die Nägel Daûds spürte, die breite Schrammen in seine Haut rissen. Nun erst kam ihm zum Bewußtsein, daß man ihn tätlich überfiel, und er begann exakt und ärgerlich kleine Boxerhiebe auszuteilen. Da Daûd dadurch nicht vertrieben ward, sondern sich immer erboster an ihn hing und ihn weiterwürgte, verlor Percy das Gleichgewicht, und beide rollten ineinander verkrampft vier, fünf Stufen, bis ans Ende der Treppe, hinunter. Daûd biß, schlug und kratzte, wohin es traf; er hieb nach den blassen Augen, die er so plötzlich mit aller Inbrunst haßte, er hieb nach dem blonden Schopf, nach dem herzförmigen, spöttischen Mund; kurz nach allem, was ihn so maßlos fremd dünkte,

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