Der Sarg: Psychothriller
gerade mit einer Flasche Bier und einem Glas zurückkam.
Wiebking verdrehte genervt die Augen. »Mein Vater hat heute per Rundmail alle Mitarbeiter offiziell darüber informiert, dass er mit sofortiger Wirkung Dr. Guido Löffler zu seinem Stellvertreter gemacht hat, um ihn für seine Aufgabe als zukünftigen Geschäftsführer vorzubereiten. Denken Sie, das ist Grund genug, mal einfach so ein bisschen mit dem Auto durch die Gegend zu fahren? Wenn man selbst die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben hatte, dass einen der eigene Vater nicht vielleicht doch noch für diesen Posten berücksichtigt?« Er ignorierte das Glas und setzte die Flasche an den Mund.
»Eva Rossbach ist verschwunden«, sagte Menkhoff unvermittelt und beobachtete Wiebking dabei scharf. Der setzte die Flasche ab und sagte: »Ja, Wiebke sagte schon so etwas.«
»Das klingt nicht gerade so, als ob Ihnen das große Sorgen macht.«
»Ich habe im Moment halt meine eigenen Sorgen. Die taucht schon wieder auf.«
»Ach, das denken Sie?«, warf Reithöfer ein. Sie klang gereizt. »Nachdem ihr Arzt lebensgefährlich verletzt und sie entführt wurde? Gab es schon mal Momente in Ihrem Leben, in denen Sie nicht ausschließlich um sich selbst gekreist sind, Herr Wiebking?«
Menkhoff sah sie erstaunt an, und Wiebking war anzusehen, dass ihn nicht nur die Art, wie Reithöfer mit ihm redete, überraschte. »Nein, ich …« Er richtete sich im Sessel auf. »Das wusste ich nicht mit der Entführung. Wiebke sagte mir gerade an der Tür nur, dass Sie da sind, weil Eva verschwunden sei. Was ist denn da passiert? Und welcher Arzt ist verletzt? Ich verstehe das alles nicht.«
Jutta Reithöfer brachte ihn – nun sichtlich gefasster – auf den neuesten Stand. Menkhoff wartete, bis sie fertig war, dann sagte er: »Herr Wiebking, hat Frau Rossbach Ihnen gegenüber mal was von einem Bruder erwähnt?«
»Einem Bruder? Ich weiß, dass ihr Bruder damals im Rhein ertrunken ist.«
»Hat sie jemals Zweifel daran geäußert, dass er wirklich ertrunken ist?«
»Wie? Nein, wieso sollte sie daran zweifeln? Also langsam verstehe ich gar nichts mehr.«
»Frau Rossbach glaubt, dass ihr Bruder damals nicht wirklich ertrank, sondern von seiner Mutter weggegeben wurde, und dass er jetzt wieder zurückgekommen ist.«
Wiebking starrte Menkhoff mit offenem Mund an. Nach einigen Sekunden sagte Menkhoff: »Herr Wiebking? Alles in Ordnung?«
»Ja … Ja, entschuldigen Sie. Ich musste nur … Mir ist nur gerade etwas eingefallen, das wirklich ziemlich verrückt ist. Vor ein paar Monaten, ich glaube, es war im April oder Mai, bin ich abends auf dem Parkplatz mal einem Kerl begegnet, der Eva ziemlich ähnlich sah. Er bewegte sich anders und sah schon auch anders aus, ein Mann halt, aber die Ähnlichkeit zu Eva war doch verblüffend.«
»Und? Was haben Sie getan?«, hakte Menkhoff ungeduldig nach.
»Nichts, der Typ hat gemerkt, dass ich ihn angestarrt habe, und hat mir den Mittelfinger gezeigt. Er wirkte ziemlich aggressiv, und ich hatte keine Lust, mich mit ihm anzulegen. Ich bin ins Auto gestiegen und weggefahren.«
»Haben Sie Frau Rossbach davon erzählt?«
»Nein, ich war mir dann auch anschließend nicht mehr so sicher, ob ich mir die Ähnlichkeit nicht vielleicht nur eingebildet hatte. Aber jetzt, wo Sie das mit ihrem Bruder sagen …«
»Gott, das ist ja richtig unheimlich!« Wiebke Pfeiffer sah Jörg Wiebking verstört an. »Wenn ich mir das vorstelle … Da taucht plötzlich der eigene Bruder wieder auf, der als Kind ertrunken sein soll. Kein Wunder, dass Eva oft so durcheinander ist und so viel vergisst.«
»Na ja, so weit sind wir ja noch nicht«, wiegelte Menkhoff ab. »Das ist nur eine Theorie von Frau Rossbach, die ich für meinen Teil für sehr unwahrscheinlich halte. Aber was meinen Sie damit, Frau Rossbach vergisst viel?« Als Wiebke Pfeiffer zögerte, hakte Menkhoff nach. »Frau Pfeiffer …?«
»Ach, wie soll ich das erklären. Eva ist manchmal etwas … verwirrt. Sie hat mir erzählt, dass es vorkommt, dass sie sich plötzlich irgendwo befindet und nicht mehr weiß, wie sie dahin gekommen ist. Sie denkt, es ist so etwas wie schlafwandeln bei Tag, dass sie so sehr in Gedanken versunken ist, dass sie Dinge automatisch tut, ohne darüber nachzudenken. Und wenn sie sich dann irgendwann wieder bewusst wird, was um sie herum geschieht, wundert sie sich.«
»Ja, verwirrt ist sie öfter mal, das kann ich bestätigen«, fügte Jörg Wiebking hinzu. »Ich habe
Weitere Kostenlose Bücher