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Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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wie Ölgötzen, und als die Tasche verbrannte und man das Fiepen bis in den vierten Stock hören konnte, wollte Zoss auch in die Flammen, und wir konnten ihn nur mit Mühe festhalten, und am nächsten Tag war er dann verschwunden.
    Aber weißt du, wie das Leben wirklich war? Es war, allesdas bis zum Exzeß zu tun, was immer verboten gewesen war. Es kam gar nicht darauf an, was oder wie, es war der Traum aller Sechzehnjährigen von Freiheit. Einmal zum Beispiel wollten wir einen Kuchen backen, die ganze Krebshilfe. Wir bereiteten einen Teig, rollten ihn und wollten ihn in die Form legen. Da begann die erste, Linda, glaub ich, eine kleine Berlinerin, die ihr Geld in der Toplessbar verdiente, mit dem Finger durch den Teig zu fahren und ihn dann abzulecken. Vadammt, dat wollt ick als kleene Jöre und hab immer eens uff de Flossen jekriecht ... , und danach war kein Halten mehr. Es war ein riesiger Teig, sollte Kuchen für zwanzig Leute oder mehr geben, und alle begannen wie die Verrückten, den süßen Teig zu fressen, Kinder mit glänzenden Augen, die ganzen dreckigen Finger fuhren durch den gelben Teig, die Stachelköpfe beugten sich über die Form, ein Gedrängel und Geschubse, und sie kicherten und schaufelten den Teig in sich rein, leckten sich die Finger und wurden immer ausgelassener, es war wie ein Kindergeburtstag, keine Joints mehr, kein Bier, alles vergessen für diesen Moment, dazu war es noch Sonntagnachmittag, und alle räuberten sie den Teig, fraßen ihn weg, fuhren den Rand entlang, um auch noch die letzten Reste zu ergattern, ich stand daneben, die Mutti, und endlich durften sie, was sie nie gedurft hatten, und dann war alles weg, alles aufgegessen, aufgeleckt, und sie hielten sich die Bäuche und sahen einander an, als seien sie plötzlich aufgewacht, und dann verzogen oder verkrochen sich alle ganz schnell oder gingen raus auf die Straße, als fiele ihnen mit einem Schlag wieder ihr eigentliches Leben ein, chaotisch und no-futurehaft und scheißegal und stoned und nicht an gestern denken und traurig und allein, und vom Kuchenbacken war nie mehr die Rede, solange das Haus stand.
    Wieso, steht es nicht mehr?
    Nein, es wurde im Winter einundachtzig auf zweiundachtziggeräumt, weil wir ja Nichtverhandler waren, und kurzerhand gesprengt.
    Ich erinnere mich, es war seltsam und traumartig, ein surreales Gemälde, es war im Februar, und Sergej, der auch kurz in der Danckelmann gewohnt hatte, und ich saßen auf den Trümmern, auf dem Schutt, dem Steinhaufen. Wir waren auf Trip. Es war, als wärst du in dein eigenes Gedächtnis hinabgestiegen. Ein Berg aus zerbröseltem Mauerwerk, Reste von Backsteinwänden, die noch aneinanderklebten, zerborstene Balken und dazwischen, denn wir gruben und wühlten in dem staubigen Schutt, plötzlich etwas, das du wiedererkanntest, ein paar Bretter eines Küchenschrankes, die Hälfte einer Sprungfedermatratze, das verbogene Gitter eines Bettes, ein genau in seiner Längsachse geborstenes Klo mit einem Stück Rohr daran und sogar eine blecherne Kaffeetasse, dunkelblau wie ein Nachthimmel.
    Zwei Wochen zuvor war es noch ein Haus gewesen, in dem wir gewohnt hatten, jetzt war nichts mehr davon übrig, und die Sachen, die wir ausbuddelten und unter dem Mörtel und dem Mauerwerk hervorzerrten, waren komisch, lächerlich, fremd, sie hatten keinen Sinn mehr; was irgendwann in einem Haus, in dem Menschen lebten, nützlich und verständlich gewesen war, das wirkte jetzt deplaziert, unlogisch, als sei es einem kranken Hirn entsprungen oder komme aus einer anderen Welt, die nichts mit unserer gemein hat.
    Wir zerrten eine Matratze hervor und legten sie über die Trümmer, und dann saßen wir obendrauf in vier Meter Höhe unter der Februarsonne, und der Wind trieb den Staub umher, fast wie Nebelschwaden, und wir saßen obenauf, auf der Matratze, und rauchten unseren Joint. Es war ein Ende, eines von so vielen fremden Enden, mit denen man nicht zurechtkommt, und es war allemal das Ende der großen Zeiten, das wurde uns klar, als wir da oben hockten in der Stille, selbst wenn es noch ein wenig weiter schwelte eine Zeitlang.
    Sie hatten uns die Nabelschnur gekappt, noch einmal, und obwohl wir auf Trip waren und das tote Gestein lebte wie ein Ameisenhaufen und das Haus noch zu existieren schien, nur in wahnwitzig veränderter Perspektive, während der Himmel sich wölbte und die Erde an Geschwindigkeit zulegte und wir vor lauter Zentrifugalkraft beinahe nach oben und draußen geschleudert wurden

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