Der Schachspieler
dass diese Sitzung ziemlich unangenehm werden konnte.
»Jake Westlow kannte Marly Kelch, seit er sieben Jahre alt war. Dorsey Kelch glaubt, dass Westlow ihre Tochter über alles geliebt hat.«
»Haben wir nicht gehört, dass alle dieses Mädchen geliebt haben? Sie war wie diese … wie hieß sie doch gleich in diesem Film mit Ben Stiller? Wo ihm sein Sperma am Ohr hängt?«
»Mary. Verrückt nach Mary «, warf Agent Evans ein.
»Ja, genau der. Marly Kelch war auch so ein Mädchen von nebenan, in das sich jeder verliebt. Aber das heißt noch gar nichts. Als ich jung war, hab ich mich auch in jedes hübsche Mädchen verliebt, das mich anlächelte. Geht mir heute noch so. Vielleicht bin ich ja der Killer.«
»Jake war ein begabter Junge«, fuhr Cady fort, »ein brillanter Kopf, er hat drei Klassen übersprungen und seinen Abschluss zusammen mit Marly gemacht.«
»Na und? Meine Schwester hat auch mal eine Klasse übersprungen. Vielleicht ist sie der Killer.«
»Marly Kelch war voller Tatendrang. Sie hat neben der Highschool gearbeitet, war eine herausragende Sportlerin – ein richtiger Tennisstar –, sie war Ballkönigin und spielte toll Klarinette, sie übernahm Hauptrollen in fast allen Theaterstücken und war immer Jahrgangsbeste, abgesehen von Westlow. Sie hat auch die Abschiedsrede gehalten, weil Westlow so bescheiden war und es ihr überließ. Aber es gab da noch etwas, das die beiden verband, etwas, das nicht so bekannt wurde. Marly hatte Jake Westlow schon als Kind das Schachspielen beigebracht, als sie auf ihn aufpasste. Die beiden gründeten den Reading Chess Club.«
»Okay, das ist interessant, aber die meisten Spieler lernen es schon ziemlich früh. Mein Neffe spielt auch Schach und ist erst acht. Vielleicht ist er der Killer.«
Cady wusste, dass Jund mit seinem Sarkasmus nur den ungeheuren Druck überspielte, der auf ihm lastete. Der AD wollte hieb- und stichfeste Argumente, und Cady würde sie ihm liefern.
»Die Westlows waren ziemlich arm. Jakes Mom hat ihn allein aufgezogen, sie übernahm Näharbeiten, um über die Runden zu kommen. Es war nie genug Geld da, auch nicht fürs College. Das Freshman-Jahr verbrachte er größtenteils mit verschiedenen Aufnahmeprüfungen, schließlich schaffte er es ans Massachusetts Institute of Technology und schloss dort gleich in zwei Hauptfächern ab, in Chemietechnik und Maschinenbau. Die Frage ist, wie konnte er sich das leisten?«
»Ein Stipendium.«
Cady nickte. »Der Junge hat das MIT mit einem Navy-ROTC-Stipendium absolviert.«
»Dann war er nach dem Studium Navy-Offizier?«
»Er war Offizier im Civil Engineer Corps der Navy. Er war Lieutenant Commander, als er starb. Westlow leitete verschiedene Bauprojekte im Irak: Stützpunkte, Flugplätze, Hafenanlagen, solche Sachen.«
Agent Preston hatte Westlows Militärakte vor sich liegen. »Das entspricht dem Profil. Durch den Militärdienst verfügte Westlow über das nötige Knowhow.«
»Er hat ein starkes Motiv, will den Mord an dem Menschen rächen, der für ihn ein Seelenverwandter war«, dachte Jund laut nach. »Und er verfügt über die Fähigkeiten und die Intelligenz, um diese Morde zu planen und auszuführen. Nur eins ist absolut widersinnig: Warum kommt diese Rache erst zehn Jahre nach dem Tod des Mädchens?«
»Er hat es nicht gewusst.«
»Was?«
Cady reichte Agent Schommer eine Handvoll Kopien. Sie behielt ein Blatt und gab die übrigen weiter. Cady hatte hier den Zeitablauf der Ereignisse dargelegt. Er wartete, bis jeder im Raum ein Blatt vor sich liegen hatte.
»Westlow ist am Boden zerstört, als er von Marlys Tod erfährt. Er versteht einfach nicht, wie eine so herausragende Sportlerin ertrinken kann, auch wenn sie ein paar Gläser Wein getrunken hatte. Sagen wir, er hatte immer schon seine Zweifel. Jedes Mal, wenn er in der Stadt ist, besucht er Dorsey Kelch, auch in der Zeit, als seine Mutter im Sterben liegt. Bei diesem Besuch blättern sie eine Newsweek -Ausgabe durch, in der Vater und Sohn Farris auf der Titelseite abgebildet sind. Mrs. Kelch erwähnt, dass ihre Tochter Patrick Farris in Princeton gekannt hat. Das gibt Westlow zu denken, und wieder überkommt ihn dieses Gefühl, dass es bei Marlys Tod nicht mit rechten Dingen zuging.«
»Was bedeutet der Vermerk ›Beerdigung‹ auf Ihrer Liste?«, fragte Jund.
»Das ist das Datum von Lorraine Westlows Beerdigung. Sie starb zehn Tage nach Jakes Besuch bei Dorsey Kelch. Auffällig ist, dass zwei Tage nach diesem Besuch Bret
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