Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
Vom Netzwerk:
sich verlaufen. Sie will, dass sich ein neues Loch öffnet, damit sie irgendwo anders hingehen kann. Hinter ihr ist nichts als nur noch mehr horizontaler Tunnel, der vor einer massiven Eisenklappe endet, die von außen verriegelt ist.
    Das Ding hat sich zusammengeringelt und schläft in einer Pfütze des von ihm selbst produzierten Schleims.
    Es erscheint der Katze riesig. Die Katze bemerkt die Anwesenheit von gar nicht so wenigen langen, nadelspitzen, scharfen Zähnen. Sie ist nicht auf einen Kampf aus, aber wenn sie wegen der Eisentür nicht mehr zurückkann, dann wird sie mit Klauen und Zähnen versuchen, das Ding so zu verletzen, dass sie eine Chance hat, an dem großen Wesen vorbeizuflitzen. Der Fluchtweg liegt vor ihr, nicht hinter ihr. Aber wenn sie im Augenblick weiter voranwill, dann muss sie sich an dem großen Ding vorbeiquetschen oder über es hinwegsteigen. Das ist das Risiko nicht wert, das Ungetüm dabei aufzuwecken.
    Die Katze wird warten, aber sie wartet nie lange. Sie setzt sich, fühlt die Feuchtigkeit und richtet sich wieder auf. Sie sieht zu, wie die Kreatur atmet. Die Katze riecht Anzeichen ihrer Identität: das Blut einer kürzlichen Jagd, der säuerliche Geruch von Verdauung und Assimilierung. Der Ort nimmt von dieser Kreatur genauso wenig Notiz wie von der Katze, nicht mehr, als die Katze selbst einem Holzwurm schenken würde.
    Die Katze hebt eine Pfote und schwenkt sie angeekelt. Hoffnungslos. Um wieder sauber zu werden, hat sie noch viel Arbeit vor sich, sobald sie wieder draußen ist. Wenn sie wieder herauskommt.
    Die Katze hat einen Instinkt dafür entwickelt, wann sich ein Loch öffnen wird. Aber sie fühlt auch das gestörte Gleichgewicht des Ortes. Der Ort ist launisch und unzuverlässig geworden. Er hat sich daran erinnert, wie man den Fahrstuhl in Gang setzt, dann aber dessen Zweck vergessen. Die Kabine steckt immer noch mit weit offener Tür in der Nähe des zweiten Stocks fest. Die Katze weiß das, denn sie ist bis zu der Ecke gekrochen und hat in die Dunkelheit des Schachtes hinuntergeblickt. Die Katze hat ein halb lebendiges Ding gehört, nass und wütend und unvollständig, das auf dem Dach der Kabine rumorte. Sie wollte da genauso wenig kämpfen, wie sie jetzt dieses noch größere Wesen aufrütteln will, das keine zehn Schritte von ihr entfernt schläft und dabei den metallenen Tunnel mit seiner aufgequollenen braunen Körpermasse versperrt.
    Die Kreatur ist fast so wie die Schlange, die die Katze irgendwann einmal gefangen und verspeist hat, es fehlt ihr nur die geringelte Symmetrie. Der einzige andere physische Vergleich, der der Katze einfällt – ihre Aufmerksamkeitsspanne ist sehr kurz –, ist eine schale Wurstpelle, die sie einmal wieder hochgewürgt hat. Auch damit hat dieses Wesen Ähnlichkeit. Eingedellt und dick und stinkend, den Geruch von Auswurf und Fett verströmend, in sich zusammengerollt wie ein Kothaufen. Nur viel größer. Und lebendig.
    Man muss dem Ding ein gewisses Maß vorsichtigen Respekts entgegenbringen. Die Katze wird weiterwarten.
    Das Geräusch von langsam tropfenden Wasser im Hintergrund lässt die Katze schnell nachsehen, ob sich ein weiteres dieser Löcher geöffnet hat.
    Als die Katze sich wieder umdreht, bewegt sich die Kreatur. Vielleicht träumt sie. Ihr schmieriges Fell hängt lose um sie herum, als sei ein viel schlankerer Körper in einem riesigen Anzug gefangen. Ranziges Fleisch fällt aus dem Klumpen ihres Leibes heraus und sammelt sich auf dem Boden, wodurch der enge Durchgang noch enger wird.
    Im Schlaf würgt die Kreatur wieder Knochen hervor, gähnt weit mit zähnestarrendem Rachen und träumt dann weiter.
    Die ausgekotzten Knochen sind in Fett und Magensäure getränkt. Sie dampfen in der kühlen Luft. Zerbrochene Rippenbögen, dünne Stangen aus Kalzium, luftig und leicht. Ein menschlicher Kiefer mit Porzellan- und Silberfüllungen.
    Die Katze hält weiter zehn Schritt Abstand. Sie hat keine Lust, als Dessert oder Mitternachtssnack zu dienen. Für so eine Kreatur würde die Katze nicht mal zwei Bissen ausmachen.
    Als das Geschöpf wieder gähnt, sieht die Katze, dass ihr weit offener Rachen knochig und segmentiert ist, mit pickligen Erhebungen. Er ist einfarbig weiß. Der lumineszierende Schimmel in dem Metalltunnel macht diese Beobachtung möglich. Die Katze erkennt keine Farben, daher sieht sie auch das ganze Rot nicht. Aber sie kann das Blut riechen, und sie kann riechen, dass es frisch ist.
    Die Füße der Katze sind jetzt

Weitere Kostenlose Bücher