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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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hinunterschubsen. Und dann weg wie der Teufel. Im Schneesturm verschwinden. Irgendwo anhalten, wo er dann alles auseinanderklamüsern konnte. Später.
    Jetzt war dazu keine Zeit. Die Kacke war jetzt wirklich am Dampfen. Er musste aufpassen, dass er sie nicht abkriegte.
    Sie stand an der Badezimmertür. »Komm mit, komm mit, du musst mitkommen, jetzt sofort!«
    Einarmig, wie er war, warf er das Kilo Kokain auf Jonathans Matratze und umklammerte die Sig Sauer. Mit der linken Hand konnte er kein bisschen zielen, aber des Lebens reichhaltige Auswahl an Möglichkeiten bot ihm zurzeit keine andere Chance. Mit dem Rücken zur Wand und der Waffe im Anschlag schlich er direkt hinter Jamaica die Treppen zu Appartement 107 hinunter.
    In der Wohnung war es dunkel. Und kalt. Sie zögerte an der Türschwelle.
    Sie war nach hier unten gekommen, hatte etwas gesehen, und war dann wieder die Treppen hochgerannt. Zwanzig Sekunden, mehr nicht. Es war zu viel für ihren Verstand, um es ohne die rechte Distanz zu verarbeiten.
    Er sah den Ausdruck auf ihrem Gesicht.
    Das einzige Licht, das noch funktionierte, kam aus dem Badezimmer. Bei der fahlen, trüben Beleuchtung sah Cruz getrocknetes Blut überall auf den Wohnzimmerwänden. Einige der Spritzer reichten bis fast zur Decke hoch. Breite Blutspuren zogen sich über den Boden. Geronnene kleine Pfützen, die immer noch klebrig waren, wo sich das Blut gesammelt hatte. Das Mobiliar war umgeworfen und zerschlagen.
    Er stieg vorsichtig über die Schweinerei hinweg. Der Vorraum zum Badezimmer, genauso geschnitten wie in seiner und in Jonathans Wohnung, sah aus wie die Abflussrinne im Schlachthof am Schlachttag. Auf dem Fußboden lag ein Auge, die Nervenenden schon an der Luft erstarrt. Im Badezimmer selbst war es sogar noch schlimmer.
    Cruz bekam seine Zunge und seine Lippen nicht so weit unter Kontrolle, dass er dumme, offensichtliche Fragen stellen konnte. Dies ließ sich schon nicht mehr mit Chiquitas Abgang in einen Topf werfen. Das hier war eine Überdosis aus Fleisch und Blut und Gemetzel, ein Leichenhaufen ohne Leichen, aber immer noch mit einer Menge Indizien.
    In eine Ecke gestopft und mit Blut getränkt lang eine Polizeijacke mit einem Oakwood-Abzeichen und einzelnen Rangstreifen. Auf der anderen Seite lag eine Uniformmütze mit der Unterseite nach oben, in der noch einige blutige Haare steckten. Cruz ging zu dem zerbrochenen Garrison-Street-Fenster hinüber. Der Streifenwagen stand noch da. Und er war immer noch unbesetzt.
    Jamaicas Gesicht war das einer Frau, die gerade von ihrer einzig wahren Liebe verlassen worden ist. Oder die innerlich zerbrochen ist. Erst jetzt bemerkte Cruz, dass sie leuchtend orange Gummihandschuhe trug.
    Dies war die Wohnung des alten Meckerfritzen, erkannte er. Er erblickte eine offene Kommodenschublade und nahm sich ein Taschentuch, das er zusammenfaltete, um seinen Mund und die Nase vor dem Geruch zu schützen. Er fühlte einen Brechreiz in der Kehle. Er hatte keinerlei Bedürfnis, sich das anzusehen, was er hochwürgen mochte, nein danke.
    Das Badezimmer hatte durchgängig die Farbe von trockenem Kastanienbraun. Selbst für Mrs Bates kleinen Jungen Norman wäre das Saubermachen hier eine Herausforderung gewesen. Das Fenster zum Luftschacht war eingeschlagen, und auf dem Außensims befanden sich blutige Stiefelspuren. Das Verlängerungskabel hing in der Schwärze, die Kletterschlingen schwankten verträumt – ein dalisches Element des Seltsamen in diesem Tableau des Mordes.
    Der Sturm verpasste dem Kenilworth eine Ohrfeige aus tiefgefrorener Luft. Die Vorhänge wurden nach draußen gesogen, dann wieder hineingeblasen. Cruz und Jamaica spürten beide, wie das Gebäude erzitterte. Das Metall in dem Luftschacht knackte und ächzte. Wenn die Luft kalt genug ist, dann transportiert sie keine Gerüche mehr, und zumindest das war eine Gnade.
    Jamaica kam näher. Sie hatte sich ihren eigenen Mundschutz gebastelt. Sie konnte weder die Augen schließen noch den Kopf abwenden. Sie starrte auf das Badezimmerfenster, nicht dumpf, sondern mit dem Gegenteil jeden Ausdrucks – leer, ausgelaugt, inhaltslos.
    »Jonathan«, sagte sie. »Ist er …?«
    Die Stille beantwortete die Frage für beide.
    Cruz lehnte sich vor, um den Schacht zu untersuchen, und fand das Wellblech dick mit Schmier überzogen. Unter sich konnte er das auf und ab wippende Rot und Weiß der verloschenen Lampe erkennen. Eine Handvoll Streichhölzer schwamm an der Oberfläche des Wassers, das

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