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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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war?
    Cruz öffnete die Augen. Es gab keine Monsterkrabbe im Fahrstuhl. Die schleimig blutigen Spuren glänzten immer noch im trüben Kabinenlicht. Ein Klumpen Gallerte, der sich an der Luke gesammelt hatte, fiel herunter und klatschte auf dem Kabinenboden auf wie ein warmes Stück Butter.
    Die Zeit blieb scheinbar stehen. Cruz stand da wie ein Ölgötze und dachte mit einer Schärfe, die in ihrer Präzision und ihrer Klarheit bewundernswert war: Das Ding lebt in dem Spalt zwischen den Stockwerken. Das ist sein Versteck, und wenn ich da etwas unterbringen will, dann muss ich es vorher töten.
    Die Sonne ging langsam auf. Hätte er jetzt aus dem Fenster geblickt, dann hätte er eine trübe Decke aus Wolken gesehen, die sich immer weiter verdichtete, um allen Leuten den Morgen zu verderben.
    Er konnte fühlen, wie die Wirbel in seinem Nacken aufeinanderschabten, wenn er den Kopf drehte. Er schwamm in der schlaflosen Erregung, die man von sechs Linien richtig guten Kokains bekam – oder von zehn Linien schlechtem –, mit ungestimmten Blaskapellen und allem anderen, was dazugehörte. Machten die Drogen ihn nervös? Aber nicht doch. Das Ding, das ihn nervös machte, hatte sich gerade in dem Fahrstuhlschacht verkrochen, ein Kopf auf einem Körper, der in physikalischer Hinsicht gar nicht existieren konnte.
    Die Sache war ganz einfach. Es lässt sich blicken, und du knallst es ab. Die Sig Sauer war mit Weichmantel-Geschossen geladen, Mistdingern mit einem stumpfen Ende, die da, wo sie austraten, das Fleisch gleich pfundweise herausrissen.
    Statt sich mit dem Ding anzulegen, konnte er sich aus dieser Bruchbude auch einfach nur verpissen. Es gab keinen Grund, warum er sich nicht einfach aus dem Staub machen sollte.
    Ich muss das Kilo verstecken. Richtig, das wars.
    Seine Nackenhaare richteten sich auf wie Gras im Wind, und er hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. So als sei er immer noch im Sichtfeld von Bauhaus’ Videokameras. Jeden Moment musste jetzt eine Horde von Bullen über das Kenilworth herfallen, bei einer wütenden Suche nach ihrem verlorenen gegangen Bruder in blau – dem Polizisten, dessen Uniformjacke jetzt in 107 durch mehrere Liter Blut umgefärbt worden war. Das würde bestimmt ein interessantes Schauspiel werden … aber keines, bei dem Cruz es sich leisten konnte, anwesend zu sein. Schließlich hatte er gerade ein Buch in einem blutigen Spalt in Jonathans Wohnzimmerwand verschwinden sehen, einem Riss, der sich dann wieder in sich selbst zusammengefaltet hatte und verschwunden war, wobei er nur eine Narbe hinterlassen hatte. Das hatte er auch nicht geglaubt. Und jetzt dieser monströse Witz, der im Widerspruch zu jeder Form von Schwerkraft seine Windungen den Fahrstuhlschacht hochgezogen hatte. Das waren keine Halluzinationen, keine Paranoia, Schmerzzustände oder Drogen. Er hatte diese Sachen wirklich gesehen.
    Er hatte deutliche Argumente in Händen. Er konnte einfach den Schacht hochmarschieren, dieses Schnecken-Baby-Monster in Kleinteile zerlegen und sein Dope verstecken, wo immer er wollte. Elektrizität knisterte in seinen Extremitäten, heiß, rein, verzehrend. Noch zwei Prisen, und sein Nachbrenner würde einsetzen. Dann konnte er den Superhelden spielen.
    Er wühlte seinen Zeigefinger in das Paket und verhalf sich zu dem Zeug. Er fühlte seine Ohren knacken, als er hochzog. Weiße Eisgranulate kletterten hurtig seine Nasenhöhlen hoch und setzten dann zum Stuka-Angriff auf sein Gehirn an, eine Salve für jede Hirnhälfte.
    Er hob den Tisch im Flur auf, um ihn als Aufstiegshilfe zu benutzen. Die Vase mit den Plastikblumen rollte herunter und prallte auf dem Boden auf, zu lange, zu laut, zu heftig.
    Ein anklagendes Gesicht lugte aus der dritten Tür den Gang herunter. »Hey, mach da draußen nicht so einen Scheiß-Krach, Mann!« Das Gesicht war jung, braun und dreckig.
    Cruz Lippen zuckten. Er riss die Sig Sauer hoch, zielte beidhändig und bellte: »Verpiss dich, du Arschloch!«
    Die Tür knallte mit erstaunlicher Geschwindigkeit zu. Es gab keinen weiteren Protest.
    Wow, hey, die Masche zieht.
    Sein Mund arbeitete. Er kaute an etwas, was nicht da war, aber er kaute ausgiebig und gründlich. Mithilfe des Tisches könnte er leicht seinen Kopf durch die Luke stecken und sich umsehen.
    Das ist eine Falle, hörte er eine warnende Stimme.
    Zuerst warf er die Vase nach oben. Sie fiel wieder herunter und klapperte über den Boden. Er hasste das Geräusch, das sie machte. Als der Tisch an Ort und

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