Der Schacht
Schädeldecke gewesen war. Ihr Haar breitet sich wie karmesinroter Seetang um die zerbrochenen Überreste ihres Schädels aus. Cruz sah das Bild immer wieder. Es wurde nie langweilig.
»Kauf dir, was du brauchst. Kauf keine ausgefallenen Sachen. Laß das meinen Mann in Chi für dich tun. Ich werde ihn anrufen, sobald ich weiß, dass du in der Luft bist.«
»Unter welchem Namen bin ich unterwegs?«
»Ramon Aguilar.« Rosie buchstabierte es für ihn. Cruz war wieder zum Latino geworden. »Bitte wiederholen.«
Cruz buchstabierte es noch einmal.
»Jetzt beweg deinen Arsch rüber zu der Geschenkboutique und kauf dir eine von diesen Schultertaschen, Zahnbürste, Toilettensachen und so weiter. Besorg dir ein Rasiermesser. Wenn ihr in der Luft seid, sorg dafür, dass dein Schnurrbart verschwindet. Kauf dir ein paar Zeitschriften und anderen Müll. Vielleicht auch einen Fotoapparat, damit du nicht ganz ohne Gepäck in das Flugzeug steigen musst. Wir wollen nicht, dass sich jemand daran erinnert, dass du gar nichts dabeihattest.«
»Rosie, ich …« Das Script, durch das Cruz sich auf Anweisung seines Mentors durcharbeiten musste, schien ihm zu umfangreich zu sein. Es war noch eine Menge zu besprechen.
»Halt die Klappe. Kontrollier deine Taschen. Jedes Gramm oder jede Pille spülst du in der Herrentoilette herunter. Du darfst nichts bei dir haben, wenn du an Bord gehst. Ist das klar?«
»Ja, ist in Ordnung.« Er trug eine Ampulle mit einem Gramm an einem goldenen Kettchen um den Hals. Seine Hand tastete danach, unter das Hemd. Es gelang ihm sogar ein winziges Grinsen. Rosies absolute Kompetenz beruhigte ihn.
»Du kannst dir später noch genügend Gedanken darüber machen, was mit Chiqui passiert ist. Aber vergiss bloß nicht, dass du nie hier gewesen bist.«
»Was ist mit den anderen Leuten von der Party?«
Das schrille Pfeifen einer Frequenzstörung ließ sie beide zusammenfahren. Vielleicht war Rosie mit seinem Porsche durch eine Unterführung gefahren.
»Es war einfach, sie zu überzeugen«, sagte Rosie. »Ich habe sie gefragt, ob einer von ihnen dich in letzter Zeit gesehen hat. Die meisten fingen dann an, sich zu fragen, warum du nicht zu der Party gekommen bist.«
Cruz nickte. Verdammte Idioten.
»So weit, so gut, Kleiner. Versuch, es nicht zu versauen, okay?«
Den Hörer aufzuhängen, diese lebenswichtige Verbindung zu Rosie zu unterbrechen, war das Letzte, wonach Cruz jetzt der Sinn stand. Er fühlte sich so schon schrecklich isoliert, einsam und von allem abgeschnitten … und dabei war er noch nicht einmal aus Florida raus.
»He, warte noch. Wie heißt der Kerl, den ich in Chi treffen soll? Ich meine in Chicago.«
»Das ist nicht dein Problem. Er wird dich finden.« Das professionelle Gehabe von Ross Westervelt bekam einen Riss. »Nur Spinner tragen Hawaiihemden in einem Blizzard. Schmeiß das weg. Kipp etwas darüber. Verlier es einfach und kauf dir ein vernünftiges Hemd. Kauf dir auch eine Jacke und einen dicken Mantel, wenn du einen finden kannst. Und dann gehst du zu der weißen Zone hinter der Gepäckabholung der Eastern Airlines und wartest da, bis dich jemand aufliest.«
Cruz wollte ihn unterbrechen, wollte ihm irgendetwas zurückgeben. »Danke.« Mehr bekam er nicht heraus. Ihm war zum Heulen zumute.
»Lass uns nur hoffen, dass keinem deswegen die Vorhaut über die Ohren gezogen wird, Kleiner. Mach dich jetzt auf den Weg. Ich leg jetzt auf.«
»Halt, warte!«
Rosie wartete am anderen Ende der Leitung noch eine, zwei Sekunden …
»Die Kacke ist am Dampfen, Alter. Steh nicht in der Windrichtung.«
Da war ein kurzes, pfeifendes Keuchen, das zu besseren Zeiten ein Lachen hätte sein können. Und dann wurde die Verbindung unterbrochen.
Cruz war aus seinem Loch gekommen, um etwas aus sich zu machen. Er hatte die Unterschiede zwischen Himmel und Hölle, zwischen oben und unten … und zwischen dem Touristendeck und der ersten Klasse kennengelernt. Er würde auf keinen Fall seine Kokain-Ampulle die Toilette runterspülen. Sie war ein Geschenk von Rosie gewesen, zusammen mit der Kette in 24-karätigem Gold. Er würde das nicht einfach wegwerfen … oder ausleeren. Kleine unwichtige Widersetzlichkeiten können dir die Kontrolle über dein Leben bewahren. Cruz klammerte sich an diese Form von selbst gestrickter Psychologie, indem er beschloss, nichts wegzuwerfen, bevor er nicht im Flugzeug saß.
Er war von Grund auf erleichtert, als der Eincheckaufruf kam, der es ihm als Passagier der ersten
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