Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
Vom Netzwerk:
Morgen machen wir die Tour hier um die Häuser. Möchtest du eine von denen?« Er meinte Chari oder Krystal.
    Cruz entgegnete mit einer trockenen Grimasse. Es gab nur eine Frau, an die er in der letzten Zeit dachte. »Ich will nur noch etwas essen. Glaubst du, dass ich nach dem hier schlafen kann?« Er deutete auf die drei Häufchen.
    Krystal schien in der Mitte einzuknicken und stieß ihr Gesicht hungrig in den mittleren Haufen. Sie wirbelte ihn dabei durcheinander, ließ Kokainwolken aufsteigen und schnüffelte und schnupfte, als drohe sie zu ersticken. Als sie wieder auftauchte, war ihr Gesicht eine weiße Kabukimaske.
    Bauhaus war auf dem Weg zu einem der Schlafzimmer des Appartements und zog Chari am Handgelenk hinter sich her. Kein formelles ›Gute Nacht‹. Krystal blieb bewusstlos auf dem Küchenboden liegen und begann zu schnarchen.
    Für Cruz hatte der Tag fast tausend Meilen weit weg mit einer Party begonnen. Er hatte die zugedröhnten Luschen da gehasst und hier mochte er sie genauso wenig. Der Tag hatte jetzt mit einer anderen, intimeren Party geendet. Was musste man nicht alles ertragen, wenn man sich so seinen Lebensunterhalt verdiente. Rosie wusste, dass Cruz’ Nase spitze war. Er war besser als jeder Weinkenner. Und Rosie war klar gewesen, dass es eine Schande wäre, wenn man so ein Talent wie das von Cruz für eine billige Racheaktion verheizte. In kurzer Zeit würden neue Chiquitas vor Emilios Schlafzimmertür Schlange stehen. Aber Nasen wie die von Cruz waren das Kapital seiner geschäftlichen Unternehmungen. Und davon gab es nicht so viele!
    Er hoffte, dass Rosie fleißig an den Fäden zog. Je schneller er von hier wieder verschwinden konnte …
    Er schaffte noch ein paar Bissen seines Essens, aber das Kokain hatte ihm den Appetit genommen. Das war eine der Nebenwirkungen seines Jobs. Er aß trotzdem weiter, wohl wissend, dass er die Kalorien später brauchen würde.
    Er trat näher an die verdunkelten Glasscheiben und sah nachdenklich auf Chicagos Lichter hinaus. Der Schnee rollte in dichten Böen heran, wirbelnd und ruhelos. Die Lichter der entfernten Stadt waren Feuer, das man durch Eis betrachtete. Es wirkte anheimelnd und irgendwie romantisch. Cruz wusste, dass das wahrscheinlich nur an den Drogen lag, die in seinem Kopf herumspukten.

6.
    Der Gedanke, dass es in dieser Nacht in ihrem Appartement gespukt hatte, ließ Mrs Elvie Rojas nicht los. Entweder das, oder sie war nicht mehr ganz richtig im Kopf, und das Wort ›senil‹ war nicht unbedingt eines, mit dem sie sich anfreunden wollte.
    Elvie war untersetzt, fassförmig, mit stämmigen Beinen. Seit zwanzig Jahren ähnelte ihr Gang mehr dem Watscheln eines Pinguins, aber sie kam zügig und energisch voran, wann immer sie sich als Fußgängerin versuchte. Elvie Rojas war keine von diesen alten Damen, die – halb blind und gebrechlich – hinfielen und sich die Knochen brachen. Ihre krummen, stabilen Beine hatten sie durch die Mühen des Lebens getragen. Damals, während des Krieges, war sie fast 30 Zentimeter größer gewesen, fast zu hager für den damaligen Geschmack, dunkelhaarig, mit kaffeebraunen Augen und so attraktiv, dass sie mehr Aufsehen erregte, als den meisten gut aussehenden Frauen im frankophilen Teil Spaniens gut tat.
    Sie hatte ihren neunzehnten und ihren einundzwanzigsten Geburtstag in hochschwangerem Zustand verbracht, und die Geburt ihrer ersten beiden Kinder hatte das irreversible Auseinandergehen ihrer Hüften eingeleitet. Wie tektonische Platten, die in ihr auseinanderdrifteten. Nach Emilio und Cristina kamen dann noch drei Kinder. Ihr erster Ehemann, Esteban Mercurio, war im letzten Jahr des spanischen Bürgerkrieges gefallen, und nach ihm kam dann ein amerikanischer Sergeant namens Bryce Cannon Welch. Mit Bryce hatte sie ihren ersten wirklichen Orgasmus gehabt. Er hatte sie nach Amerika gebracht, mit offiziellem Trauschein, gerade passend zu McCarthys Hexenjagd. Als ein guter Kriegskamerad aus Bryces Luftwaffeneinheit beschloss, dass Bryces Arbeiten in vergleichender Soziologie verdächtiges Material darstellten, musste Bryce erkennen, dass seine erwiesenen Qualifikationen als Kriegsheld (zwei Abschussmedaillen, zwei Purple Hearts) für die Schnüffler weniger wichtig waren als seine neue Rolle als Kommunist. Einige Kränkungen ließen sich nie verwinden, und der Schmerz ließ auch nicht nach. Von seinem eigenen Land verraten, hatte Bryce sich zu Tode gesoffen, bevor Kennedy ins Weiße Haus einzog.
    Elvie

Weitere Kostenlose Bücher